Von Enzian und erstem Edelweiß: Pflicht oder Kür?

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Blaudorf, 1037

Etwa drei Wochen später rumpelte eine schwere Neisbeck'sche Kutsche nach Blaudorf. Der Kutscher hatte über ein paar Stationen den richtigen Ort gefunden - ein Grund, warum man auf dieses Handelsunternehmen sicher setzen konnte. Auch der Herr von Wildreigen hatte sich aus diesem Grunde genau an diesen Händler gewandt, auch wenn die Preise etwas höher waren. Als der Kutscher die zwei großen, eisenbeschlagenen Kisten ablud, kontrollierte sie Ritter Ladislaus auf ihren Zustand. Als dieser zu seiner Zufriedenheit war, ließ er sich nicht lumpen und drückte dem Kutscher zwei Dukaten in die Hand, dann packte er mit an, als sein neuer Hausstand begann, die Kisten den Hang hinauf nach Haus Peridot zu tragen. Nun lag Schwarztobrien endgültig hinter ihm, zumindest äußerlich. In seinem Inneren trug er noch immer schwer daran.

Drei Tage später wurde das Banner des Hauses Wildreigen eingeholt und der Dorfältesten bis zur Rückkehr des Ritters das Regiment übertragen. Dann brachen der Herr von Wildreigen zum blaubunten See, Marano und Zsigmond auf. Eine ganze Weile ritten sie durch's Hochgebirge, mit leichter, aber passender Ausrüstung, bis sie nach ein paar Tagen Gut Wildreigen erreichten. Auf der letzten Etappe hatten sie alle die Wildreigen'schen Fahnen angelegt. Als sie Wildreigen erreichten, ertönte eine Fanfare, um sie anzukündigen.

Nun hieß es, Haltung zu bewahren und sich bestmöglich zu repräsentieren. Vor dem Tobrienfeldzug war Ladislaus ein junger, suchender Ritter gewesen, der mit dem deteminierten, akkurat-energischen Kopf des Hauses Wildreigen, der Herrin Selissa von Wildreigen so seine lieben Schwierigkeiten hatte und auch die bisweilen herrische alte Dame hatte so ihre liebe Not mit dem jüngsten - und letzten - Spross des Hauses. Ladislaus war eigentümlich still geworden, was von seinen treuen Begleitern durchaus bemerkt wurde. Sie kannten ihn gut und lange, hatten sie doch die ein oder andere Misere in tobrisch Landen gemeinsam durchstanden. Während Zsigmond akkurat darauf achtete, dass Tiere und Ausrüstung in makellosenstem Zustand waren, versuchte das Kind, versuchte Marano, Ladislaus etwas zu entspannen. So jung er auch war, er spürte, dass ihm dieser Weg schwerer fiel als so mancher in den Schwarzen Landen.

Dann hatten sie den Gutshof erreicht und ein Page öffnete die Tür, musterte ihn kurz, wie, um sich zu vergewissern, dass dort tatsächlich ein Wildreiger vor ihm stand, dann verbeugte er sich tief und winkte ein paar Stallknechte heran, die ihnen die Tiere abnahmen, während er selbst davoneilte, um sie namentlich anzukündigen. Kurz darauf erschien er wieder und gab ihnen einen Wink, ihm zu folgenö. Er führte sie in den Empfangssaal des Gutes, nicht groß, aber doch repräsentativ und mit göttergefälligen Bildern an der Decke. Ladislaus fühlte besonders das Auge des Herren Praios auf sich ruhren, als er diesen Raum betrat. Am Ende des Saales, auf dem Hochsitz, saß die gestrenge Dame Selissa. Ladislaus und die Seinen mussten den Saal durchqueren, um zu ihr zu gelangen. Der Saal war nicht lang, aber er kam dem Heimkehrer lang vor. Ruhig und nach außen hin gefasst, schritt er den Weg vom Torbogen bis zum Hochsitz. Seine Augen hatten Zeit, das Haupt des Hauses Wildreigen zu mustern - wie auch sie Zeit hatte, IHN zu mustern. Dann hatte er die Stufe vor dem Hochsitz erreicht und - er kniete sich hin. In ritterlicher Demut kniete er vor Selissa, die mit dieser Art der Begrüßung in der Tat nicht gerechnet hatte. "Erhebe Dich, Ladislaus Gabrom Nöttel zu Wildreigen. Wir freuen uns, dass Du lebst." Die befehlsgewohnte Stimme der alten Dame wärmte sich nach und nach auf. Der unreife Bursche von einst war in der Fremde gereift und brachte ihr den Praios gefälligen Respekt entgegen, der ihr zustand. Auch sein Gefolge, allesamt Hinterkoscher, wussten sich zu benehmen und begrüßten sie respektvoll und standesgemäß. "Und auch Ihr, Begleiter meines Großneffen, erhebt Euch." Dann gab sie mit einem Wink Ladislaus zu verstehen, näher zu treten. Dieser verneigte sich, trat näher, kniete erneut nieder und küsste ihren Ring. Die alte Dame nickte, dann fasste sie ihn bei den Händen und half ihm, aufzustehen. "Du hast Dich gewaltig geändert in der Fremde. Setz Dich neben mich und erzähle mir von Deinen Fahrten. Ladislaus tat, wie ihm geheißen. Die Dienerschaft brachte Brot, Käse und Wurst sowie Getränke für die versammelte Familie und Ladislaus erzählte und erzählte. Langsam, ganz langsam hatte er das Gefühl, dass die gestrenge Herrin auftaute und dass es wirklich sein Familienoberhaupt war, zu dem er sprach. Langsam, ganz langsam fand ein Lächeln den Weg auf das gestrenge aber gerechte Antlitz der alten Dame. Die Konversation verlief immer flüssiger.

Stunden später war alles erzählt, für das es Worte gab, ohne dass man dabei den Verstand verlor. Der junge Marano, der in den vergangenen Stunden so trefflich der alten Dame aufgewartet hatte, war vor Erschöpftung am Tische eingeschlafen, den getreuen Zsigmond hielt nur eiserne Disziplin noch wach, als die Dame Selissa zu Ladislaus spricht: "Es möge genügen für den heutigen Tag. Ich sehe, der dunkle Bruder des strahlenden Fürsten hat den Jüngsten bereits mit seinem Segen bedacht und auch Euer getreuer Waffenknecht scheint mir bereits von Ihm begrüßt worden zu sein. Lasst uns für heute den Tag beschließen. Ich wünsche Dir und den Deinen eine gute Nacht, Ladislaus."

Am nächsten Morgen eroberte Marano vollends das Herz der alten Dame, als er, jung wie er war, den Mundschenk darum bat, der Dame Selissa aufwarten zu dürfen. Als der Tag sich neigte, gaben sich Selissa und Ladislaus die Hand und die Herrin des Hauses sprach: "Einen trefflichen Knaben hast Du gewählt, Ladislaus. Ein prächtiger Ritter wird einst aus ihm werden, so die Götter wollen. Lasst ihn bei mir für einen Götterlauf, damit er einer Dame aufzuwarten lernt, wie es sich für einen jungen Pagen gehört." Ladislaus neigte das Haupt. "So sei es, Herrin Selissa." Es fiel ihm schwer, Marano für eine lange Zeit nicht an seiner Seite zu wissen. Er hatte ihn aufwachsen sehen und hatte fast schon väterliche Gefühle für ihn, doch Selissa hatte recht: soll er ein anständiger Knappe werden, hat er zu lernen, einer Dame aufzuwarten. Wer war besser geeignet, als das Haupt seines Hauses? Wer war besser geeingnet als Selissa von Wildreigen? Marano blickte von Ladislaus zur Dame Selissa und wieder zurück - und verstand. Er lächelte Ladislaus zu und brauchte keine Worte, um diesem zu sagen, dass es in Ordnung sei.

Nach einem langen, ausgiebigen Frühstück, währenddessen noch viel geredet wurde, sattelten Ladislaus und sein Waffenknecht die Pferde und wollten gerade aufsteigen, als die Herrin Selissa im Gutshof erschien. "Mein bester Ladislaus, ich habe viel nachgedacht über das, was Du mir erzähltest. Ich wünsche Dir viel Glück und den Segen der Zwölfe bei Deinem Einstand im Kosch. Ich möchte Dir etwas mit auf den Weg geben, damit Du weißt, dass ich Dir meinen Segen gebe und damit Du Deinen Fuß sicher auf unseren guten Koscher Grund stellen kannst." Auf einen Wink hin erschien der Pferdeknecht des Gutes und führte drei Stuten aus dem Stall der Dame Selissa. Drei prächtige Stuten waren es, Wildreigen'sche Goldisabellen. Statt aufzusitzen, kniete Ladislaus nieder: "Das ist zuviel des Guten.", sprach er überwältigt. - "Und genau aus diesem Grunde ist es angemessen," antwortete die Herrin von Wildreigen. "Du bist der jüngste Spross unseres Hauses - und der letzte Lebende nebst meiner. Begründe mit Deinem prächtigen Hengst und diesen besten Stuten meines Gestütes Deine eigene Zucht, um Dir einen Namen im Kosch zu machen, der nicht nur auf hinterkoscher Gegebenheiten beruht." Ladislaus nickte, er wusste nicht zu antworten. Er verbeugte sich und saß schweigend auf, dann nahm er die Zügel der Stuten entgegen. Er blickte der Dame Selissa noch einmal in die Augen - und beide Augenpaare glitzerten feucht. Anschließend ritt er langsam aus dem Torbogen. Von oben klang des Knaben Stimme: "Fahret wohl, Ritter Ladislaus! Gute Reise, Sigmund!" Dann war alles still... nur der Hufschlag und in der Ferne ein paar Vögel waren zu vernehmen.

'Mögest Du auch eine Frau finden, mein bester Ladislaus,' dachte die Dame Selissa im Stillen, 'damit unser Haus nicht ausstirbt.' Ja, sie hatte ihn endlich in ihr Herz geschlossen.