Vom Baron, der ein Verbrecher war

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Ausgabe Nummer 20 - Efferd 1021 BF

Vom Baron, der ein Verbrecher war

Offenbar ist der verschollene Rohalssteger tatsächlich zurück

Selten nur sahen die Bewohner Steinbrückens Seine Hochgeboren, ihren Baron, derart bleich im Gesichte nach Hause zurückkehren wie an jenem Tage im Rahjamond des vergangenen Götterläufs. Dabei war, so sollte man denken, gar kein Anlaß für eine solche Blässe gegeben. Zwar hatte ein Feuer das Haus des Kupfergießers Himbrox verbrannt, war die Tochter der Bürgermeisterin vor fünf Tagen mit einem almadaner Glücksritter davongelaufen und auch sonst stand nicht alles zum besten, aber was bedeutete dies schon in einer Zeit, in der die Ausnahme zur Regel geworden ist? Gerade den Vinansamtern war es doch in den letzten Götterläufen besser ergangenen als manch anderem im Koschland, glücklich geradezu im Vergleich mit den leidgeplagten Brüdern und Schwestern in des Reiches östlichen Provinzen.

So hatte man den Baron auch oft nachdenklich gefunden, und nicht selten zeugten tiefe Ränder um die Augen von der auf ihm lastenden Verantwortung gegenüber seinen Untertanen von gramvoll durchwachten Nächten. Doch sorgte ihr Feuer, das auch bei noch so aussichtsloser Lage stets zuversichtlich funkelte (und auch das Liebesleid des Barons nicht hatte verglimmen lassen), dafür, daß es nie ein Vinansamter ernsthaft gewagt hätte, sich vor der nahen Zulunft zu fürchten. Waren nicht die von den Orken verbrannten Häuser Steinbrückens längst wieder erbaut, größer und schöner denn je zuvor? Und trugen nicht die von feindlichen Scharen verheerten Äcker und Gärten nicht mehr Früchte denn ehedem? Und hatte nicht der Baron solcherart klug gewirtschaftet, daß ihn der Fürst gar zum Säckelmeister des ganzen Landes erhoben hatte?

So läßt sich die Besorgnis der braven Vinansamter erklären, denn Merwerd Stoias Blick wirkte erschreckend leer, in weiter Ferne verloren, und auch die beiden ihn umgebenden Reiter — niemand anders als Herr Immo nämlich, der Vogt von Gormel, und der hochgeborene Graf Orsino von Falkenhag selbst. Doch die Ängste vor nahenden Orks oder gar drohenenden Überschwemmungen bestätigten sich nicht.

Zwar wagte es niemand, die drei edlen Reiter selbst anzusprechen, denn diese schwiegen allzu ehrfurchtsgebietend. Doch war einem der Steinbrücker ein Reitknecht des Gefolges bekannt, und wegen der Unwissenheit, die so sehr auf ihm lastete, konnte er sich nicht enthalten, jenen anzusprechen. Die Stimmung löste sich bereits, als man das gequälte Lächeln auf seinen Lippen sah: „Nein, nein, praiosseidank haben wir nichts zu befürchten, doch werden die hohen Herren wohl all Seinen Beistand brauchen, um über jenen zu richten.”

Er wies mit einer flüchtigen Handbewegung auf den hochgewachsenen, breitschultrigen Mann, der hinter den dreien ritt. Er war ungefesselt, was das Volk freilich zurecht verwirrte — jemand, über den gerichtet werde, müsse doch wohl gebunden sein! Auch Kleidung und Haltung sprachen nicht beileibe nicht für einen Strauchdieb. Er saß aufrecht im Sattel, beinahe schon zu aufrecht für einen Verbrecher, munkelte das Volk. Auch sein Blick zeigte keine Reue und war doch so voll Trauer und Gram, als blickte er auf eine schwere Vergangenheit zurück, so daß keiner der Städter auf die Idee kam, der Gefesselte empfinde ob seiner Lage Scham oder Zorn.

Vielmehr schien er sich willig in sein Schicksal zu fügen, wie auch die vor ihm reitenden sich in ihres zu fügen zu schienen, obgleich es so aussah, als wäre es den Edelmännern fast lieber, die Sache auf sich beruhen zu lassen; als hätten sie eine Pflicht zu erfüllen, die sie viel lieber einen anderen erfüllen sähen. Diese Erkenntnis verwirrte die unbedarften Bürger Steinbrückens.

Warum in Praios Namen sollte sich ein Baron, ein Graf gar, scheuen, einen Schurken zu verurteilen? Sollte es sich bei jenem Mann gar um einen ihnen Gleichen handeln? War es gar der verschollen geglaubte Baron von Rohalssteg, wegen dem — man erinnerte sich des Gerüchts ob seiner immensen Fragwürdigkeit nur zögerlich — die drei Herren unlängst auszogen?

Einige Steinbrücker suchten sich zu entsinnen. Man kannte den Rohalssteger, der des öfteren ein Gast des Barons Stoia gewesen war, als einen jungen, blonden Recken, der immer recht schweigsam war und eine dunkle, temperamentvolle Frau aus den Südlanden zur Gemahlin hatte. Das Paar war wahrhaft auffällig gewesen unter den Gutsherren und Minenbesitzern, die den alten Schlag des koscher Adels ausmachten. Bestimmt man hätte oft darüber getuschelt, wer von den beiden in Rohalssteg wohl die Macht in den Händen hielt, hätte der Baron nicht in seiner nahezu unheimlich souveränen Art alles überblickt, während in seiner Umgebung eine etwas beklommene Atmosphäre herrschte, daß sich mancher fragte, wie die Baronin dabei so natürlich erscheinen konnte.

Conrad Salfridjes — nun entsannen sich einige des fremdländischen Namens — ging stets in edles Tuch gewandet, wie er gewiß aus seiner Heimar, dem Lieblichen Felde, gewohnt war und war mit einem Schwert umgürtet. Beides fehlte nun, und die abgetragene Kleidung verschleierte, daß er inzwischen ergraut war. Doch ansonsten schien er fast ganz der Alte; und wenn man genau hinsah, erkannte man dies sofort, und so wird es auch den drei edlen Herren ergangen sein, als er ihnen im Noionitenkloster vorgeführt wurde (vergleiche den Kosch-Kurier Nr. 18).

Als er, von zwei Söldingen flankiert, im Burghof der Feste Flußfels absaß, da hinkte er, ganz wie man es von Conrad Salfriedjes gewohnt war — einzig anstelle der Eisenhand, die ihm die Linke ersetzte, stak eine derbe Lederkappe auf dem Armstumpf.

Bald schon waren allerlei Gerüchte im Schwange, von denen im Laufe der nächsten Tage allerdings einiges ins rechte Licht gerückt würde. Die einst für absurd gehaltenen Vorwürfe, der Rohalssteger sei in den letzten Jahren Angehöriger einer Räuberbande gewesen, die im Norden unseres Fürstentumes Unheil anrichtete, scheinen in der Tat zuzutreffen!

Der Baron bestreitet jedoch, dies alles willentlich getan zu haben, wie ein Herold des Herrn von Vinansamt kundtat. Er habe, so berichtete dieser weiter, sich während all der Zeit in einer Art Traumzustand befunden, so daß ihm überhaupt nicht bewußt gewesen sei, was er tat. Wodurch allerdings dieser seltsame Zustand hervorgerufen worden sein könnte, sei ihm nicht möglich mitzuteilen.

Der Hofmagus, Baranoir Mi Taer, sei dabei, zu überprüfen, ob er möglicherweise Opfer eines Zaubers wurde. Außerdem laufen Untersuchungen, die die Feststellung dessen, was der Baron von Rohalssteg als Räuber — diese Wort sträuben sich geradezu, in der Verbindung aufs Papier geschrieben zu werden — getan hat, zum Ziel haben. Als gesichert gilt bisher, daß er selbst drei Menschen bei Überfällen getötet hat. Erschreckend kaltblütig soll er gehandelt haben, als sei es ihm einerlei, welche Untaten er beginge.

Um ein endgültiges Urteil abzugeben, müssen jedoch noch weitere Untersuchungen folgen. Bereits jetzt haben sich zur Wahrheitsfindung einige Rohalswächter angekündigt. Auch sei nach der in der fremde lebenden Frau des Barons geschickt worden. Er selbst steht derweil unter Hausarrest, kann Burg Flußfels aber jederzeit unter Bewachung verlassen. Dies tat er bereits zu einem Besuch des Boronschreines bei Gaschenk. Dabei kam es jedoch zu Tumulten unter den Einheimischen, von denen ihn einige am liebsten gerichtet hätten.

Lange nämlich rätselte man, wer über den für tot Geglaubten urteilen sollte: Nur ungern sicherlich Hochwohlgeborenen Orsino, ist er doch als Siegelwahrer allezeit am Kaiserhofe in der Pflicht (und pflegt ohnedies seine Tage mit geistvolleren Dingen zu verbringen)? Würde also der durchlauchte Fürst ein Machtwort sprechen? War das Eingreifen die Kanzlei für Reichsangelegenheiten zu erwarten? Oder sollte man gar Herrn Merwerd, der doch ein Cammer-Richter des Reiches ist, die Entscheidung übertragen — obzwar er doch als Freund des langverschollenen Rohalsstegers gilt?

Nun aber verlautbarte nach einem Besuch der Ernstlich-Geheimen Greven der Grafschaft See, der Meister Bibrosch und Bromul, Söhne des Bulrom, aus der Angbarer Thalessia, daß man übereins gekommen sei, den Schiedsspruch dem Fürstlichen Hofgericht zu übertragen.

Angbart Götterfried