Triumph im Tod

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Ausgabe Nummer 10 - Efferd 1017 BF

Triumph im Tod

Ritter Gar’Khe E’Shendron von Frattdorf verwundete das Untier bevor er unterlag — nun folgen viele Ritter dem Ruf des Fürsten

Schetzeneck. Nach dem Drachenkampf Anfang Rondra letzten Jahres - der Kurier berichtete - folgten viele tapfere Ritter dem Rufe des Fürsten, den Drachen zu jagen in den Klüften und Klämmen des Schetzenecks. Der boshafte Drache aber war nirgends, oder vielmehr scheinbar überall, denn im Laufe des Mondes erschien er blitzschnell an den verschiedensten Orten der Grafschaft, fiel über Dörfer, Wandrer, Höfe her und holte sich, was keiner zu geben bereit war, nur um flugs danach wieder in den unwegsamen Höhen der Grafschaft zu verschwinden. Doch vor den Jägern auf der Drachenhatz konnte sich der Drache allzeit verbergen. Im folgenden berichtet der junge Krieger Enno zu Stippwitz, der gemeinsam mit dem alten Ritter Gar’Khe E’Shendron, Junker von Frattorf zu Bragahn und Ehrenritter der Praiosschlucht zu Metenar, in Fürstenhorts Berge aufgestiegen war, den Drachen zu finden:

„Yoyo, Enno, ein Ritter muß auch geduldig sein!“ sagte Ritter Gar’Khe gar so oft, daß ich’s schon nicht mehr hören wollte.

Seit drei Wochen suchten wir schon dieses Drachenuntier, immer dicht auf seiner Fährte. Bereits nach einer Woche nämlich waren wir auf ein Dorf gestoßen, das wie ausgestorben schien. Erst auf lautes Rufen Ritter Gar’Khes zeigten sich wenige Köpfe schreckgeplagter Bauern, die sich aus ihren Hütten wagten. Auf sein Fragen hin stammelte der älteste von ihnen die Geschichte der letzten Tage: Greing der Alte hatte sich wohl dreier Male hier gezeigt und furchtbar gewütet. Reste verkohlter Hütten, die schmerz- und schreckgezeichneten Gesichter kündeten solches. Herr Gar’Khe bemühte sich, die Dörfler mit seiner ruhigen Art zu beschwichtigen und ihnen vor allem zu entlocken, woher der Drache alljedes Mal geflogen käme, und wohin darauf!

Bereits zwei Stunden später krochen wir, die Pferde führend, die schmale Klamm vom Dorfe her hinan - eine üble Plackerei! Der Schweiß lief mir aus allen Poren, die Stiefel drückten, die Rüstung zwickte, und meine Stimmung war schlecht genug, mein Pferd unsanft zu zerren. Ritter Gar’Khe schwitzte nicht minder, doch - herrje! - er pfiff und trällerte lustige Weisen aus dem Ferdok’schen und schien auch noch Freude an dieser beschwerlichen Hatz zu haben. Von mir darauf angesprochen, meinte er: „Weißt Du, Enno, wenn man so alt ist wie ich, dann bietet sich nicht mehr gar so oft die Gelegenheit, sein Können unter Beweis zu stellen! Jeden Morgen plagen dich die müden Knochen, in den Knien zieht’s bei schlechtem Wetter und auf dem Hof können die schlechten Augen keinen Knecht vom andern unterscheiden. Die Götter haben’s mit Weisheit so eingerichtet, daß dem stärksten und besten Ritter dann doch immer ein Feind begegnet, der ihm überlegen ist! Und wenn’s das Alter ist! Yoyo, nun aber weiter! Mein Herz hüpft vor Freude, daß ich noch einmal ins Abenteuer darf!“ Und fröhlich pfiff er die „Fischerin von Nadoret“.

Den ganzen Tag bis in die Dunkelheit mühten wir uns den Pfad hinan. Erst als wir eine geschützte Nische auf der Klamm gefunden hatten, beschloß Ritter Gar’Khe zu rasten. Ich suchte in der Finsternis nach Zweigen und griff oft in Dornen, während er die Pferde versorgte. Am Abend saßen wir zum wiederholten Male am kleinen Feuer beisammen, löffelten Suppe und brachen das harte Brot. Dies sind die Momente gewesen, die mich zumindest ein wenig entschädigten, denn Ritter Gar’Khe erzählte danach von den großen Dingen, die er in seinem langen Leben erlebt hatte. Seine traurigen Augen glänzten dann freudig, wenn er mit Feuer berichtete, wie er seinerzeit den Troll erschlagen hatte. Er strich sich den grauen Bart und kam im Reden vom Gröbsten zum Kleinsten. „Damals, als Reto — der Kaiser, weißt Du? — zum Angriff rief, da gab’s kein Halten! In Jergan, yoyo. Das ist schon sehr lange her, Enno.“

Zwei Tage später stießen wir auf eine Fährte: Ein schlimm zugerichteter Steinbock lag auf dem Pfad, von großen Zähnen zerrissen. Nach kurzem Suchen brachte Ritter Gar’Khe eine graue Drachenschuppe zum Vorschein, die er etwas abseits gefunden hatte. Da fanden sich auf einer sandigen Senke auch Klauenspuren und frischer Drachendung. Wir waren also auf der richtigen Fährte, denn Greing war vor nicht einmal einem Tag ebenfalls hier gewesen! „Nicht so voreilig, Enno — der Drache hat von hier aus hundert Wege - wir haben nur zwei. Vermutlich verlieren wir ihn recht schnell wieder.“ Dennoch merkte ich dem Graukopf seine Aufregung an. Mit Eile führte er sein Pferd den Pfad entlang. Es wurde merklich felsiger, und linker Hand ging’s immer steiler in die Tiefe, rechter Hand immer steiler bis zum Bergrücken. Nur eine Stunde später konnte ich in der Ferne eine Rauchsäule ausmachen, die hinter zwischen zwei Bergrücken aus einem Tal aufstieg. Ich mußte Ritter Gar’Khe erst darauf aufmerksam machen, weil er den Rauch nicht erblickt hatte und auch jetzt noch nicht sah. Also schritt nun ich voran. (Wozu hatten wir die Pferde denn, wenn wir sie beständig nur führten?)

Es dunkelte bereits, als wir den Ort erreichten, von dem der Rauch aufgestiegen war: Es war ein kleines Dörfchen, nicht mehr denn fünfzehn Hütten, doch mit einem kleinen Perainetempel. Verkohlt und verbrannt waren die Reste zweier Häuser am Rand des Dorfes.

Mit großen Augen wurden wir auch hier erwartet, denn erblickt hatte man uns gewiß schon vor langem, als wir den gewundenen Pfad in das Tal hinabgekommen waren. Wenige Felder bestanden die Allemende, doch Schafe und Ziegen hatte es hier zumass. Die Bauern und Schäfer mit ihren Familien stunden vor dem Dorf, und vor der Gruppe stund ein alter Mann mit langem, weißem Haar und neben ihm die Geweihte der Mutter Peraine.

„Die Götter zum Gruße!“, rief Ritter Gar’Khe, „Es hat heuer Drachen hier?“ Seinen Humor verstand so mancher nicht. So blickten sich der Alte und die Geweihte auch betreten an, ehe sie bejahten und uns in eine niedrige Schänke einluden. Einige Dörfler drängten hinterher, andere besetzten die Fenster von außen, um ins Innere spähen zu können. Während wir noch gingen, berichtete der Dorfälteste von dem Überfall des Drachen in den Morgenstunden, als die Hirten und Bauern sich gerade wieder zum Dorf begaben, um das Frühmahl einzunehmen. In diesem Moment hätte der Drachen sich von dem Grat des Bergrückens im Norden des Tals abgestoßen und wäre in die Tiefe geschossen.

Noch ehe man’s sich hätte versehen können, war er auch schon über dem Hof des Bauern Ydar. Wäre der tapfere Ritter in goldener Rüstung nicht gewesen, der tags zuvor das Dorf erreicht hatte, so hätte der Drache wohl mehr noch verwüstet. Dann verzog der Alte jammervoll sein Gesicht: „Doch der Drache hat mit seinem Feueratem den Ritter erfaßt und ihn bei lebendigem Leibe verbrannt, noch ehe er seine Lanze in den Hals des Monster stoßen konnte. Da wär’s um ihn geschehen gewesen, wenn nicht der Drache just in diesem Augenblick einen Adler hoch droben erblickt hätte. Denn Drachen und Adler sind alte Feinde, und so schwang sich das Untier in die Lüfte, um seine Beute zu greifen.“

Die Geweihte der Frau Peraine, ein wackeres Mädchen, hätte sich des gefallenen Recken erbarmt und wollte ihn mit Hilfe mutiger Dörfler in die Schenke schleppen, da sei der Drache wieder herabgestoßen, habe den Ritter mit seinen Klauen gepackt und alsdann mit seiner Beute das Weite gesucht. Zu Mittag war der Wurm zurückkehrt, und hatte von der Alm drei Ziegen geraubt, alldieweil die Dörfler sich furchtsam zusammengeschart hatten. Vom Ritter aber blieb nichts als das Roß und der Schild mit seinem Wappen, den der Alte uns nun zeigte, worauf Herr Gar’Khe ihn aufmerksam besah.

Ein Brummen kam über seine Lippen, wie ich es schon so oft gehört hatte, und doch immer noch nicht seinen Sinn ergründen konnte. „Jetzt ist’s an dir, Enno.“, sprach er, „Was sagt die Heraldik?“ Wohl konnte ich gleich das blaue Symbol der Grafschaft See erkennen, und auch die Baronskrone bereitete mir keine Schwierigkeiten, doch wollte mir der Träger dieser Farben nicht einfallen. „Das ist das Zeichen des Herrn Salfriedjes, zu Rohalssteg Baron.“ erklärte mein Ritter. „Wahrlich, lange ist es her, daß ich von ihm Zeitung vernahm. Bei Rondra, ich wollte, es wäre eine bessere.“ Ein Schatten ging über sein Gesicht.

Dann aber rückte er seinen Schwertgurt zurecht und hieß mich, ihm seine Panzerhandschuhe zu reichen. „Wir wollen warten, Enno, und dann heißt’s mit vollem Mut voran. Die Göttin ist mit uns.“

Als diese Worte über seine Lippen kamen, spürte ich die Zuversicht, die aus ihnen klang, und doch war mir bange: Denn war nicht der Rohalssteger dem Untier unterlegen, und selbst die vielen Ritter auf Fürstenhort hatten es nicht vermocht, das Untier zu töten? Die Dörfler aber jubelten, als wir die Schenke betraten, und noch mehr, als sie Ritter Gar’Khes Namen vernahmen, denn von ihm hatte sie schon gehört.

Stunde um Stunde warteten wir nun. Obschon man uns mit dem Besten bewirtete, durft’ ich nur etwas Brot und Käse mit einem Humpen Bier genießen. „Mit prallem Magen kämpft’s sich schlecht.“ gebot mir mein Ritter. „Nach der Schlacht, da ist genug Zeit.“ Indes mußte ich wieder und wieder neu die Rüstung schnüren, und nach den Pferden schauen. Sein Schwert aber legte mein Herr nicht aus der Hand, auch nicht, als es schließlich dämmerte und dann dunkel ward. Obschon ich mich mit aller Kraft mühte, die Augen offenzuhalten, so war’s nach den Mühen der Reise doch ein vergeblicher Kampf. „Schlaf, Enno, morgen brauchst du die Kraft.“ meinte Ritter Gar’Khe, und kurz darauf war ich schon in tief ins Traumreich gesunken.

Als mich Herr Borons Bann verließ, schob sich draußen eben Praios’ gülden Antlitz hinter den Gipfeln hervor. In der Schankstube machte sich die Wirtin eben daran, uns das Frühstück zu richten; der alte Recke aber saß immer noch da wie am Abend zuvor, die Hände auf den Schwertgriff gestützt, und starrte unverwandt durch die offenen Fensterläden nach draußen. Nur den alten Mantel aus seiner Fahrenszeit hatte er jetzt um die Schultern geschlungen. Essen wollte er nicht, ich aber setzte mich an den rasch gedeckten Tisch.

Eben hatte die Magd mir meinen Krug gefüllt, da erhob sich mein Lehrmeister plötzlich und sprach, ohne seinen Blick vom Fenster anzuwenden. „’s ist Zeit, Enno. Der Wurm.“

Zu meiner Scham, ich will gestehen, vergoß ich den ganzen Humpen guter Milch und fegte in meiner Hast zudem einen Napf vom Tisch. Eilends zog ich Ritter Gar’Khe Riemen und Haken des Panzers zurecht, und wollte dann mein eigenes Schwert gürten. Da legte sich mir eine Hand auf die Schulter, und ich sah das ernste Gesicht des alten Ritters. „Das, Enno, brauchst du nicht. Laß das Kämpfen allein meine Sache sein, denn ich bin der Ritter und du mein Knappe.“

„Aber, Herr…“ wollte ich einwenden, doch ließ sein Blick mich schweigen. „Dies ist keine Jagd auf Goldfasane, Enno. Es gilt für dich wie mich, uns zu bewähren.“ Dann lächelte er noch einmal, wie’s selten seine Art ist. „Beim Gestampfe…“ „…heißt’s wie im Gemetz den Herrn erretten, wenn er alldort zu Boden faellt.“ Gewiß, das hatte ich so oft gehört, doch… er war indes hinausgeeilt, und bald darauf saßen wir zu Pferde. Vom Drachen war nichts zu sehen, so wollte ich, eine Frage stellen, die mir seit Tagen auf dem Herzen lag: „Ist’s nun Greing…“ „Pssst,“ zischte des Ritters Antwort, und er bedeutete mir zu horchen.

Noch war mir der Sinn nicht klar, da hörte auch ich mit einem Mal ein anschwellendes Rauschen. Wie ein Pfeil sich von der Sehne löst, so schnell stieß eine goldrote Gestalt aus den Wolken hoch droben auf uns nieder. Schon ging ein Dach am Rand des Dorfes in Flammen auf, als mein Herr mir noch einmal einen Blick voll Zuversicht zuwarf, bevor das Visier sich schloß. Dem Roß die Sporen gegeben, die Hand um den festen Schaft der Lanze geschlossen, so ritt der Tapfere dem Untier entgegen. Ich aber blieb im Schatten des Wirtshauses zurück, und hatte Mühe, auf meiner scheuenden Stute die Ereignisse zu verfolgen.

Ein unheilvolles Grollen war zu hören, das mich in Mark und Bein erschaudern ließ, als das Untier den nahenden Feind bemerkte. Doch zu spät! Bevor es wieder emporsteigen konnte, war der Reiter heran und stieß dem Untier seine Lanze in den Schlangenleib. Aber, ach, sie splitterte! In seinem Sattel duckte sich Herr Gar’Khe unter dem Hieb des überraschten Drachen hinweg, und riß sein Pferd herum und gallopierte zurück. Ohne ein Wort zu verlieren, reichte ich ihm die zweite Lanze, wie ich’s so oft auf Turnier- und Übungsplatz getan hatte.

Schon auf halben Wege treffen sich der Drache und der Kämpe stark. Erneut ein Treffer, der die Lanze bricht — doch Oh weh! mein Herz krümme sich zusammen, als ich den edlen, starken Ritter in des Monsters Fängen seh’. „Nein!“ schrie ich laut. „Nicht das, nicht das!“, als sich die grausam Spitzen senkten. Da blickte mich das Untier an, aus seinen kleinen, kalten Augen. Angst wie noch nie erfüllte mich, ein Arm versagt, der Speer wird schwer, den ich noch eben schleudern wollte. „So ist’s wenn dich ein Magus bannt.“, denk ich, „Nun wirst du sterben, und kannst deinem Herrn nicht helfen.“

Da, plötzlich, schallt ein Ruf, vom Tale her: „Tod den Trollen, und Drachen auch!“ Einen Ritter seh’ ich, von den Göttern wohl gesandt, der dort steht, und nun zum Sturm die Lanze senkt. Der Drache dreht verblüfft den Kopf, ich seh’ den Mann in seinem Maule. Der hebt sein Schwert, und es dringt tief, tief in des Drachen böses Äuglein. Unbeschreiblich der Laut, der darauf tönt! Rasend vor Schmerz schleuderte er den Leib des Helden weit von sich, und stürzt auf der Ritter zweiten zu. Der aber reitet stet Galopp, das Werk des ersten Recken zu vollenden. Der Aufprall! Schreie! Flammenwolken! Ich will Herrn Gar’Khe zur Hilfe eilen und seh’ nur noch den Wurm entschwinden.

Da endlich schickt Frau Rondra mir die Ruhe, und ich seh klar durch Kampfesschleier. Mein Ritter liegt vor mir am Boden, die Beine wirr, voll Blut und still. Schon trauer ich, schon weiß ich’s, ohne das Visier zu lüften. Frieden liegt auf dem Gesicht, dem windgegerbten mit dem grauen Bart und jenen guten, weisen Augen. Als wär die Knochen nicht zerschmettert., so lächelt er, er ist ein Held, doch nun jenseits des Nirgendmeers. So nahm ich Abschied von Gar’Khe.

Der Kampf aber war nicht zu Ende: Elf Tage und elf Nächte wachte ich am Lager Thorgal von Trollecks, jenes fremden Ritters. Trotz seiner bösen Verbrennungen war noch Leben ihn ihm gewesen, nachdem er mit dem Drachen zusammengetroffen war und jenen endgültig in die Flucht geschlagen hatte. Lange blieb er ohne Bewußtsein, in seinen wachen Momenten aber verfluchte den Vogt Roban von Treublatt, der wenig später im Orte erschien. Der nämlich hatte nicht auf Herrn Thorgal hören wollen, und war mit seinen Söldlingen gen Norden weitergezogen, anstatt dem beschwerlichen Westweg zu folgen. So aber war er nicht zur Stelle gewesen, was womöglich den Recken den Sieg gegeben hätte. Das jedoch mögen allein die Zwölfe wissen, und es ist müßig, zu beweinen, was vergangen ist. Der Drache nämlich ist wohl am Leben, wie man vernahm — schwächer als zuvor, doch von rasendem Zorn.