Nisper Gewisper - Der Rat von Ibeck

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Nispe, 1032

Ermst war sichtlich froh, dass drei alte und erfahrene Recken noch einmal zusammengefunden hatten. Die Götter alleine würden wissen, wie oft dies noch der Fall sein würde. Dazu drei junge Gesellen, die ihre Zukunft noch vor sich hatten. Das erschien ihm die rechte Mischung zu sein um sein Vorhaben in gute Bahnen zu lenken. ‚Sechs Köpfe denken besser als einer’ ... so, oder so ähnlich, hatte es sein eigener Großvater stets gelehrt.
Er bot allen einen Stuhl an und nachdem sich jeder auch dem alten Sindelsaumer nochmals vorgestellt hatte, ließ er etwas Bier und Häppchen reichen.
Nachdem sich alle bedient hatten erhob er seine schon etwas gebrochene Stimme:
„Nun, wie wir alle wissen ist mein geliebter Enkelsohn Wilbur zu unser aller Graf aufgestiegen.“
Zufrieden zustimmendes Nicken des Steenbackers, der sich inzwischen von seinem Schwächeanfall wieder gut erholt hatte.
Korisande nickte ebenfalls. Worauf wollte der Junker vom See wohl hinaus? Sie selbst hatte Wilbur vom See noch nie persönlich getroffen. Sie wusste lediglich, was man sich über den jungen Grafen in Ferdok erzählte.
Bardo hingegen zog die Augenbraue hoch: Er war kein Vasall des Grafen vom Angbarer See, sondern sowohl als Reichsedler von Bardostein, als auch in seiner Rolle als Vogt direkt der Kaiserin Untertan. Nun gut, er würde den alten Ermst fortfahren lassen, aber im weiteren Verlauf könnte diese Tatsache noch wichtig werden.
Unbeirrt fuhr Junker Ermst fort: „Ihr könnt Euch sicher vorstellen, wie dankbar ich den Zwölfen bin, dass ich es noch erleben durfte, dass unser altes Geschlecht nach langen Jahren wieder zu alter Bedeutung aufgestiegen ist. Und ich denke, ich kann Euch voller Zuversicht zusichern, dass dies auch nicht zu eurem Schaden sein wird. Das Haus vom See war stets hier im Land verwurzelt, euch allen stets ein guter Nachbar – ohne sich auf Garether Hofbällen herumzutreiben, den Gelüsten Rahjas im Übermaß zu frönen oder gar mit Thronräubern paktieren zu wollen...“, eine Anspielung auf die Eskapaden des letzten Grafen Orsino von Falkenhag, der als Reichsverräter hingerichtet wurde, weil er mit Answin von Rabenmund gemeinsame Sache machte.
„Das wohl!“ (bei Swafnir)
„Falls ihr damit auf das Haus Falkenhag anspielt, so möchte ich daran erinnern, dass dieses alte Geschlecht die Grafschaft lange gut regierte. Und auch der Ruf an den Kaiserhof ist ja an sich nichts ehrenrühriges. Nun gut, über die letzten Verfehlungen breiten wir den borongefälligen Mantel des Schweigens, aber diese Schuld ist ja auch gesühnt und wir wollen doch den Tag nicht damit zubringen alte Verfehlungen auszugraben?“
Bardo hatte seine Pagenzeit bei den Falkenhags auf Schloss Grauensee zugebracht und hatte die rauschenden Bälle und rahjagefälligen Veranstaltungen in guter Erinnerung. Zudem fühlte er sich – Answin-Affäre hin oder her – seinem damaligen Herren immer noch ein wenig verpflichtet. Zumindest soviel, dass er hier Einspruch erheben musste.
„Nun gut, da habt Ihr sicher recht, Wohlgeboren von Bardostein ... ähm ... worauf wollte ich hinaus ... ach ja ... Wilbur ist im Kern ein guter Junge, der dieses Erbe sicher getreulich weiterführen wird.“, fuhr der Großvater des Grafen, vom Einwand Bardos etwas aus dem Konzept, fort.
(leise) „Sicher…, sicher ist er das…“, eine leise Sorgenfalte bildete sich auf Stordans Gesicht.
„Ein großartiger Junge sicherlich, und bestimmt ein formidabler Graf“, stimmte Bardo zu, aber im Stillen fragte er sich, welche Eskapaden sich der junge Wilbur geleistet hatte. Eine ähnliche Titulierung hätte sicher auch auf ihn in seiner Jugend gepasst.
Was wollte Junker Ermst wohl sagen, wenn er meinte, dass sein Enkel „im Kern ein guter Junge“ sei? Korisande runzelte die Stirn, schwieg aber weiterhin. Sonst würde sie womöglich nie erfahren, worauf er nun eigentlich hinaus wollte.
„Kommen wir also zum Kern dessen, warum ich Euch zu mir gebeten habe... ich bin nicht mehr der Jüngste und ich will mein Haus bestellt wissen, bevor ich mit Boron ziehe“, die Beschwichtigungsversuche von Stordan und Alderan lehnte Ermst kopfschüttelnd ab, „Doch, doch, ich spüre das Alter schon lange – und kann schon jetzt froh sein, dass mir die Zwölfe ein derart langes Leben geschenkt haben. Aber einen letzten Wunsch hege ich alter Schelm noch immer ... ich möchte meinen Enkelsohn gut verheiraten. Am besten in eine Grafenfamilie. Ich weiß nur noch nicht so recht, wie ich das am besten anstellen soll.“
Stordan lehnte sich im Sessel zurück und betrachtete die Reaktionen der übrigen Gäste mit einer nichtssagenden Mimik. Nur die nahe bei ihm sitzenden Gäste hätten bemerken können, dass für einen kurzen Augenblick ein schelmisches Zwinkern in seinen Augen zu sehen war.
Ihr Stirnrunzeln verstärkte sich merklich, ehe Korisande ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle brachte. Das war der Grund, wieso sie alle hier waren? Natürlich war ihr bewusst, dass die Grafschaft irgendwann einen Erben brauchte, doch soweit sie wusste, war der Graf gerade einmal siebzehn Götterläufe alt. Traute Ermst vom See es seinem Enkel nicht zu, sich selbst in den nächsten Jahren eine Gemahlin zu suchen? Was für eine absurde Geschichte…
Nach einem Moment des Nachdenkens beschloss sie jedoch, jeden Einwand für sich zu behalten. Am Ende ging das Ganze ja gut aus und das würde ihr vielleicht die Dankbarkeit der Familie vom See sichern. Und was konnte eine Ritterin schon Besseres gebrauchen als eine gute Beziehung zu ihrem Lehnsherren?
„Nun, hattet Ihr denn bereits eine bestimmte Person oder eine bestimme Familie im Sinn?“, fragte sie also Ermst vom See.
„Bisher nicht, nein.“
„Gut gesprochen, Junker vom See, und euer Ansinnen ist sicherlich edel und verständlich, doch ich frage euch, warum der junge Graf Wilbur dieser Versammlung nicht beiwohnt, wo doch so eklatante Beratungen über seine Zukunft abgehalten werden? Ansonsten ist es natürlich auch noch wichtig, was für Anforderungen über die Grafenwürde hinaus Ihr an die Familie von Wilburs zukünftiger Braut stellt: sollte es ein Koscher Geschlecht sein – was die Auswahl deutlich einschränkt – ein Hinterkoscher Haus oder gar eines aus dem Außerkosch?“
„Nun, um ehrlich zu sein, mache ich mir Sorgen um Wilbur. Ich glaube er hat sich kürzlich unglücklich verliebt und trauert mir allzu sehr dieser hoffnungslosen Liebe nach... eine Bastardtochter, keinesfalls standesgemäß, zudem bereits vergeben. Als er das erfuhr, schien in ihm etwas zu zerbrechen. Sein Gemütszustand gefällt mir gar nicht“, der gräfliche Großvater wirkte ehrlich besorgt. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt und sein Blick starrte einen Moment ins Leere, als hätte er ein unschönes Bild vor Augen. Dann fand er seinen Faden wieder:
„Kurzum, es täte ihm sicher gut möglichst bald eine passendere Braut kennenzulernen, die ihm eine Stütze ist. Die Auswahl ist nicht groß, daher werden wir keine allzu hohen Ansprüche an die Herkunft stellen können – aus altem Haus, vielleicht gar im Grafenstand ... da wird man im Kosch wenig finden. Die Wengenholmer haben meines Wissend derzeit keine Tochter im heiratsfähigen Alter und Graf Growin ist zudem ein Angroscho. Wir werden also über die Provinzgrenzen blicken müssen. Hauptsache, mein Wilbur findet die Richtige“, setzte der Junker leise hinzu.
Als sie den besorgten Blick des alten Junkers sah, schien es Korisande, dass ihr erster Eindruck seines Anliegens wohl doch ein falscher gewesen sein mochte. Augenscheinlich machte sich der Großvater des Grafen wirklich Sorgen um seinen Enkel. „Hmmm.“, machte sie und grübelte ein Weilchen nach.
Schließlich meinte sie: „Nun ja, wenn das so ist, dann müssen wir seine Hochwohlgeboren mit den richtigen Personen zusammenbringen. Entweder Ihr fasst eine junge Dame ins Auge und Euer Enkel unternimmt eine Reise zu ihr oder wir bringen ihn anders mit…nun ja, jungen Frauen zusammen. Ein Turnier vielleicht? Oder ein Ball? Findet vielleicht so etwas in nächster Zeit statt? Ihr müsst verzeihen, ich hatte noch nicht die Muße, mich mit dergleichen Dingen zu beschäftigen.“
„Das wäre freilich trefflich, doch leider ist nicht nichts dergleichen geplant...“
Die Augen des alten Junkers gewannen auf einmal an Glanz, als er sich den Vorschlag Korisandes durch den Kopf gehen ließ.
„Potzdonner, natürlich ... warum habe ich alter Esel nicht selbst daran gedacht ... wir könnten selbst ein solches Fest veranstalten. Gold genug bekomme ich schon zusammen, daran soll es nicht scheitern. Seid ihr bereit mir dabei zu helfen?“
Der alte Steenbacker hatte sich bis jetzt nicht zu Wort gemeldet. Warum auch? Die „Neuigkeit“ war so neu nun auch nicht. Der Graf war im jugendlichen Alter und es war nur allzu traviagefällig, dass er auszog auf Brautschau. Stordan schmunzelte innerlich und dachte an die Zeit zurück, als er noch jung gewesen war und die kleine Jungfer von… Aber das tat hier nichts zur Sache!
Er räusperte sich und sprach mit tiefer, fester Stimme: „Werte Damen und Herren. Ich bin ein alter Mann und habe schon Grafen, Fürsten, Könige und Kaiser kommen und gehen sehen. Als ich ein Kind war, hieß der Kaiser des Raulschen Reiches Perval, falls das den jüngeren unter uns ein Begriff ist. Inzwischen bin ich alt und grau, aber eines weiß ich: Die Brautschau ist seit langem kein Thema mehr, zu dem ich etwas Sinnvolles beizutragen hätte. Der Herr Ermst und ich kennen uns aber seit langen Jahren und sind uns in Freud und Leid stets verlässliche Gefährten gewesen. Bevor ich weiterrede, möchte ich wissen, ob das auch für alle anderen Anwesenden hier gilt?“
Nach einer kurzen Pause und einem strengen, aber aufmunternden Blick in die Runde der erstaunten Gesichter fuhr er fort:
„Das ist nicht als Zeichen meiner Missachtung gemeint (er blickte in Bardos Richtung) oder als Zeichen mangelnden Respekts (Blick zu Korisande)…Aber, bei den Heiligen Zwölfen, das Thema, so offensichtlich und harmlos es auf den ersten Blick scheint, birgt doch einiges an Konfliktpotential. Daher dürfen wir kein Risiko eingehen. Also, die Damen und Herren, saget an: Wie stehts mit eurer Treue zum Haus vom See?“
Völlig ruhig und gelassen wartete der alte Ritter auf die Antworten der übrigen Gäste. Halladir ruhte schwer und schwarz glänzend auf seinem Schoss.
Korisande blickte zwischen Ermst vom See, der noch immer begeistert über der Idee eines Festes zu schwelgen schien, und dem Steenbacker hin und her. Dieser hatte selbst in dieser gemütlichen Runde sein Schwert auf den Beinen liegen, als ob er jeden gleich einen Kopf kürzer machen wollte, der nicht seine unbedingte Treue zum Haus vom See unter Beweis stellte. Dass diese alten Männer aber auch immer alles so kompliziert machen mussten…
„Werter Ritter von Steenback,“, erwiderte Korisande, „und natürlich auch werter Junker vom See. Ich denke, ich muss nicht darauf hinweisen, dass das Haus Lutzenstrand schon seit Generationen dem Kosch und auch dem Haus vom See treu zur Seite steht. Ich habe nicht vor, an dieser Tatsache irgendetwas zu ändern und bin bereit, dies auch bei allen Zwölfen zu bezeugen.“
„Also, geschätzter Herr von Steenback, wir vom Angbarer See stehen doch wenn es hart auf hart kommt immer treu zusammen. Das Haus vom See ist ebenso in alter Freundschaft verbunden und wir werden es unterstützen, soweit es in unserer Macht steht“, fügte Bardo hinzu.
Ermst legte seine Hand beruhigend auf Stordans Schulter: „Wenn an der Treue eines der hier Versammelten zweifeln würde, wäre er ... oder sie ... nicht hier am Tisch.“
Nun blickte er mit großen Augen in die Runde: „Euch ich klar, dass dies, was hier besprochen wurde kein anderer erfahren soll ... insbesondere die unglücklichen Liebe von Wilbur ist ein Geheimnis, dass ich euch anvertraut habe. Mein Enkel hat es in seiner Jugend schwer genug sich den nötigen Respekt zu verschaffen ... zumal es Kräfte geben soll, die ihn nicht gerne auf dem Grafenthron sehen.“
Stordan nickte bedächtig, während sich seine Gesichtzüge merklich entspannten. Offenbar hatte er die Situation überschätzt.
Mit einer entschuldigenden Geste wandte er sich an die anderen Gäste und sprach: „Werte Damen und Herren, verzeiht mein Misstrauen euch gegenüber. Wenn Ermst euch traut, traue auch ich euch bedingungslos. Zuviel Verrat hat mein altes Herz in den letzten Götterläufen erleben müssen. Bei Praios, gemeinsam werden wir dir sicher helfen können, lieber Ermst! Doch sag an: Was hält denn der Falkenhag von deiner Idee? Oder liege ich richtig, wenn mein altes Hirn mir vorgaukelt, dass du ihn gar nicht eingeweiht hast?“
Stordan schmunzelte dabei. Ermst grinste nur breit zurück: „Truchsess Voltan ist meinem Sohn ein zuverlässiger Ratgeber und weiß viel ... und würde wohl gerne noch viel mehr wissen ... doch er muss ja nicht überall die Fäden ziehen! Zumal er wohl nur wieder die Kosten für ein solches Fest zu Bedenken gäbe“, dann beugte er sich vor und setzte im Flüsterton, der sich kaum vom Knacken des Kaminfeuers abhob, hinzu, „Ich dachte bei meinen Bedenken aber nicht zuletzt an Reto Hlûthar von Bodrin-Hardenfels, der nur zu gerne Schetzenecker Graf wäre, wie man munkelt. Er könnte daran Interesse haben, dass mein Sohn unvermählt bleibt und die vereinigte Grafschaft dereinst wieder geteilt wird.“
„Wird das hier etwa eine richtige kleine Verschwörung auf unsere alten Tage? Also, wenn´s nach mir geht, Dame und Herrschaften: Ich bin dabei! Bei Rondra, diesen Falkenhag und sein answinistisches Schlangengezücht konnt´ ich sowieso nie leiden und wie man so hört, übt er auf den Herrn Grafen einen Einfluss aus, der dem zarten Gemüt des jugendlichen Herrn sicher nur schwer bekommen mag.“
Bardo war erleichtert, dass es vor allem gegen den Junker von Bodrin ging. Wenn weiter gegen das Haus Falkenhag polemisiert worden wäre, hätte er früher oder später Position beziehen müssen … eine Entscheidung, die er sich gerne noch länger offen halten würde. So war es vor allem der Steenbacker, der gegen Voltan wetterte. Nicht allzu überraschend, denn es war für Junker Ermst wohl nicht statthaft öffentlich Stellung gegen den Truchsess seines Enkels zu beziehen.
Umso besser: Bardo konnte nun offen das Ansinnen des alten Ermst unterstützen; wie er sich Voltan von Falkenhag gegenüber verhalten würde, bliebe noch zu überlegen. Aber vorerst wollte er noch hören, wie die Ritterin von Lutzenstrand der Sache gegenüberstand.
„Nun ja, werter Ritter von Steenback,“ erlaubte sich Korisande einzuwerfen, „wenn wir in die Tat umsetzen, was wir bereits erwogen hatten und für den jungen Grafen ein Fest veranstalten, dann wird das auch bei Falkenhag und Bodrin-Hardenfels nicht unbemerkt bleiben, denke ich.“
Sie dachte ein wenig nach. Nach allem was sie gehört hatte, war der Bruder des ehemaligen Grafen ein gerissener und gefährlicher Mann…und noch dazu ein Magier, denen man am besten ohnehin nicht trauen sollte.
„Ich denke…“, fuhr sie dann langsam fort, „dass wir es wohl nicht lange geheim halten können, dass ein Fest für Graf Wilbur veranstaltet wird. Vielleicht noch nicht einmal, dass dies heute in dieser Runde beschlossen wurde. Aber vielleicht können wir ja – zum Schutz des jungen Grafen - irgendwie dafür Sorge tragen, dass der Grund dafür unklar bleibt?“
Unwillkürlich wanderte ihr Blick zu Bardo von Bardostein. Irgendwie sah er aus, als hätte er ein wenig mehr Ahnung davon, wie man ein – falsches oder richtiges – Gerücht verbreitete als der Rest dieser Runde. Die Frage war nur, wie er zu den Falkenhags stand. Seine Bemerkung von eben ließ nicht darauf schließen, dass er die Meinung des alten Ritters von Steenback ungetrübt teilte…
Bardo hatte den Blick durchaus bemerkt, fing aber zunächst einmal an umfangreich auszuholen: „Nun die Frage ist natürlich, wie eilig das Ganze ist. Sicher sind den Anwesenden die umfangreichen Baumaßnahmen auf Pervalia nicht entgangen und sobald die Kaiserlich Pfalz gänzlich fertiggestellt ist, wir des Öfteren der Hochadel des Reiches dort Quartier nehmen, um bei der Kaiserin Audienz zu erhalten. So wäre es ein Leichtes für den jungen Grafen dort eine geeignete Gemahlin kennenzulernen. Allerdings wird dies wohl nicht in diesem und vermutlich auch nicht im nächsten Götterlauf sein, da die Renovierung des Schlosses seine Zeit benötigt, auch wenn die Arbeiter ihr Bestes geben.“
Der Gesichtsausdruck des alten Junkers vom See kündete davon, dass er das Fest am liebsten schon morgen ausgerichtet hätte.
Bardo machte eine kleine Kunstpause und wendete sich dann Ritterin Korisande zu:
„Wenn jedoch unbedingt früher ein Fest ausgerichtet werden soll, da eine Vermählung drängt, so dürfte es kein großes Problem sein, den eigentlichen Grund dafür zunächst einmal zu verschleiern. Auf Burg Grauensee waren große Feste früher gang und gäbe – wie in einem anderen Zusammenhang heute schon erwähnt wurde – und es gibt keinen Grund, nicht an diese Tradition anzuknüpfen. Und auch wenn der offizielle Anlass für die Einladung nur ein Auflebenlassen der Grauenseeschen Festradition ist, so spricht nichts dagegen, einen ‚wahren‘ Grund durchschimmern zu lassen – einen, der nicht unbedingt mit der Brautschau für Hochwohlgeboren Wilbur zusammenhängt“, bei den letzten Worten hatte Bardo verschwörerisch gezwinkert. Der beabsichtigte Effekt dieses Nachsatzes wurde jedoch ein wenig durch den polternden Herren von Steenback zunichte gemacht, der Bardo beinahe lautstark ins Wort fiel.
„Ich hab´s!“ brüllte Stordan schon fast, sodass die Umstehenden erschrocken zu ihm blickten.
„Natürlich, das könnte es sein! Hört: Das Dorf Gôrmel ist vor nicht einmal zwei Jahren von Hochgeboren Wilbur dem Dreischwesternorden großzügiger weise gespendet worden! Wie wäre es, wenn wir uns im Umfeld der Familie Bregelsaum einmal umschauen, ob es nicht eine passende Braut gibt? Die Familie ist alteingesessen, ehrwürdig und im ganzen Reich bekannt und angesehen. Dazu kommt, dass die Bregelsaums, bzw. der Dreischwestern-Orden nicht gerade als rondrianisch gesinnt gilt, wiewohl, das muss ich gleich hinzufügen, die Familie tapfer gestritten und hohe Verluste zu beklagen gehabt hat in den dunklen Zeiten, die hinter uns liegen. Was ich sagen will: Aus Graf Wilbur wird nie und nimmer ein Kämpe werden, davon konnte ich mich vor Jahren selbst überzeugen. Aber ein guter Landesvater, das wird er wohl! Und wenn seine Angetraute eine Bregelsaum wäre, kann das unserem schönen Land zwischen den Wassern nur gut tun. Ich gebe immerhin zu bedenken, dass Gormel an unseren Besitz grenzt und zumindest das Haus Steenback damit gut leben könnte. Allerdings müssten wir dann noch klären, wie genau wir es anstellen, da habt ihr recht, werte Korisande, ähhm.. Dame von Lutzenstrand.“
Sichtlich stolz ob seines Vorschlags strahlte der alte Herr in die Runde und wartete offenbar auf die Reaktionen seiner Zuhörer.
Bardo war nicht gewillt, sich von dem alten Ritter die Butter vom Brot nehmen zu lassen, daher hakte er hier sofort ein: „Die Bregelsaums sind in der Tat eine ehrwürdige Familie und wären sicher keine schlechte Partie. Man muss jedoch abwägen, was für Verwicklungen dies mit sich bringt: Das nach wie vor einflussreiche Haus Rabenmund macht man sich damit zumindest schon einmal vermutlich nicht zum Freund. Allein, ähnliche Probleme bringt wohl jede Verbindung mit sich. Die Frage ist also, wie Graf Wilbur eine potentielle Braut kennenlernen soll. Hier wäre ein Fest, wie eben vorgeschlagen, sicher nicht das Falsche. Wenn es allerdings darum geht den Adel über die Grenzen des Kosch hinaus einzuladen, braucht es mehr, als eine einfache Feier. Wie wäre also eine Einladung mit Besichtigung der entstehenden Kaiserpfalz? Sicherlich interessant für den Hochadel des Reiches und unverfänglich hinsichtlich der wahren Beweggründe. Nur müsste man vorher in Erfahrung bringen, in welchen Familien – etwa auch bei den Bregelsaums – Jungfern im heiratsfähigen Alter zur Verfügung stehen, um sie explizit miteinzuladen.“
So, damit hatte er wohl in genügender Weise seine Kenntnisse über die Verflechtungen des Adels präsentiert und zugleich auf die Bedeutung seiner Rolle als Kaiserlicher Kastellan hingewiesen.
Bei Rondra, war das kompliziert! Korisande blickte zwischen dem alten Ritter und dem eifrig schwadronierenden Vogt hin und her.
„Bei allem Interesse an der Familie der jungen Dame,“ warf sie schließlich ein, als Bardo von Bardostein schließlich seine Ausführungen beendet hatte, „sollten wir allerdings noch bedenken, dass sie auch das Interesse des jungen Grafen wecken sollte. Ich hatte zumindest nicht den Eindruck, dass Ihr ihn in eine politisch sinnvolle Heirat zwingen wollt, die ihn nicht glücklich macht…“
Sie warf dem Junker vom See einen fragenden Blick zu. Ermst nickte als er den Ausführungen aufmerksam lauschte – alles was er bisher gehört hatte schien ihm sehr zu gefallen. Man sah ihm an, wie die Möglichkeiten vor seinem inneren Auge tanzten.
„Wenn dies so sein sollte“, fuhr sie fort, „so müssen wir auch darauf achten, dass die jungen Frauen, die bei welchem Anlass nun auch immer auf den Grafen treffen, sein Interesse überhaupt wecken werden. Allerdings werden das diejenigen beurteilen müssen, die Wilbur vom See besser kennen.“
Sie unterdrückte ein Grinsen, als vor ihrem geistigen Auge eine riesige Reihe von Frauen auftauchte, die langsam vorbeiflanierten, während Ermst vom See und Stordan von Steenback sie mit prüfenden Blicken musterten, als wollten sie ein besonders prächtiges Exemplar aus einer Herde Rinder aussuchen. Nein, sie musste sich zusammenreißen. Solche Gedanken hätten trefflich in ihre alte Lieblingsschänke in Ferdok gepasst, doch hierher gehörten sie wahrlich nicht.
„Ein Jungfernfest!“, rief der alte Junker plötzlich, „Wir laden den Adel ... freilich nur die in Frage kommenden Häuser – darunter sicher auch die Bregelsaums, zu einem Fest im Sommer. Dann können wir Pervalia, wie vom Reichsedlen von Bardostein vorgeschlagen, gleich als Besichtigungsort mit einflechten. Gerne aber auch meine Burg hier in Ibeck. Ein Fest, dass den gesamten See mit einbezieht“, die graublauen Augen des alten Junkers schweiften durch das Fenster hinaus auf den See, sie strahlten, „Ich kann die festlich geschmückten Boote schon sehen – mein Enkel liebt derlei Feste. Auf das Seefest im Rahjamond kann er meist kaum warten. Ja, verbinden wir es doch gleich mit dem Seefest ... die Göttin der Liebe wird sicher das ihrige tun, um meinen Enkel aus seiner hoffnungslosen Verliebtheit zu erlösen und ihm die Wahre zuzuführen.“
„So denn ist es wohl beschlossen“, raunte Stordan nach einer angemessenen Ruhepause in die Stille der Halle zu Ibeck.
„Das Haus Steenback wird sich selbstverständlich angemessen beteiligen, sagen wir, mit einem Volksfest zu Steenback. Und um die gute Gelegenheit zu nutzen, möchte ich an dieser Stelle die Rittern Korisande und das gesamte Dorf und Gut Lutzenstrand einladen, zu Gast zu sein bei diesem Feste. Da ich natürlich um die Rivalität zwischen den beiden Gütern weiß, schlage ich vor, dass sich die jeweils Besten im Wettstreit messen. Ich dachte da an einen Tortenbackwettbewerb, Schwimmen oder Baumstammweitwurf!“ fügte er hastig hinzu, als er die skeptische Miene der Lutzenstranderin sah, die wohl denken musste, dass Stordan von Tjoste, Schwert- und Axtkampf sprach.
Korisande nickte. „Nun, das klingt gut, werter Ritter. Vielleicht gelingt es uns so, diese unselige Feindschaft zwischen den Dörflern ein wenig zu schlichten.“
„Bei dieser Gelegenheit freue ich mich, euch allen, die ihr natürlich ebenfalls geladen seid, mein Gut und meine Sammlung zu zeigen, so es euch überhaupt interessiert.“
„Gerne.“ Korisande dachte angestrengt nach. Was konnte ihr Gut wohl zu so einem Seefest beitragen? Im Moment wollte ihr nichts rechtes einfallen.
„Auch Lutzenstrand wird sich natürlich beteiligen“, sagte sie deshalb rasch. Bis es soweit war, würde ihr und ihrem Haushofmeister hoffentlich etwas Passendes einfallen…
Ähnlich erging es dem alten Junker, der sich mittlerweile insgeheim die Frage stellte, wie er diese Idee seinem Enkel am besten nahebringen sollte. Er war launenhaft, in seinem Kummer umso mehr, und wenn man es nicht geschickt anstellen würde, wäre es möglich, dass Wilbur das Fest ablehnen würde und alle Planung umsonst gewesen wäre. Auch diese Hürde müsste man noch nehmen.
Stordan folgte der anschließenden Diskussion und den verschiedenen Vorschlägen aufmerksam und nickt meist zustimmend. Als es jedoch langsam Abend wurde, zog er sich unauffällig zurück. Wer ihn beobachtete, konnte erkennen, dass er mit Nottel am Bootsteg flüsterte, der daraufhin mit dem kleinen Ruderboot Nispe in Richtung Steenback verließ.
Man hatte vereinbart sich in einer Woche wieder zu treffen. Diesmal auf Pervalia, wo man bei dieser Gelegenheit den Baufortschritt beobachten konnte.