Ein Anfang, ein Ende und ein Versprechen

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Ausgabe Nummer 51 - Praios 1033 BF

Ein Anfang, ein Ende und ein Versprechen

Baron Merwerd Stoia geht den Traviabund ein

Die Hochzeit des Barons von Vinansamt am 1. Rahja 1032 BF versammelt Adelige und Freunde des Brautpaares auf Burg Flussfels. Freund- und Feindschaften werden gepflegt - und natürlich geschieht auch Unvorhergesehenes.


Im engsten Kreise?

Es war ein strahlend schöner Sommertag, dem Anlass angemessen. Herr Praios legte mit seinen Strahlen einen strahlenden Glanz über das hügelige Land am Großen Fluss, und die Menschen und Zwerge freuten sich an den Gaben, die ihnen die Frauen Travia und Peraine schenkten.
An diesem Tage aber schafften sie nicht mehr auf den Feldern, sondern standen und schauten, als die kleine Festgesellschaft vorbeizog. In aller Frühen hatten an diesem Fest der Freuden der Baron von Vinansamt, der doch als ewiger Junggeselle galt, und die Dame Gidiane von Falkenstein den Ehebund geschlossen, bezeugt und gesegnet im Kloster Leuwensteyn durch dessen Abt Darian von Falkenstein Darian, den Oheim der Braut. Zugegen waren nur wenige nahe Verwandte des Paares, darunter der Baron Haduwulf, und wie man hörte, die Mutter des Vinansamters, eine Kaufmannsgattin aus dem fernen Festum, und sein Bruder Sondar. Ursprünglich hatte das Paar diesen Bund schon im vergangenen Herbst schließen wollen, zum Tag der Treue. Doch Nanduriane, die Schwester der Braut und kundige Sterndeuterin, hatte davon abgeraten, so eindringlich, dass man den Festtag verschob.
So blieb es auch nicht bei der kleinen Feier im Kreise der Familie und vertrauter Freunde, die frohe Nachricht hatte längst die Runde gemacht und der sparsame Baron die Rechnung ohne seine braven Vinansamter.
Zwar hatte sein sonst so getreuer und gehorsamer Verwalter Willan von Ödenhof schon ohne Rücksprache mit ihm die Anzahl der für das Volk gestifteten Freibier-Fässer verdoppelt, doch hatten die Bürgermeisterin Hamvide Furtbilling, Meister Gribod Sohn des Grorben und andere wohlhabende Bürger Steinbrückens noch draufgelegt. Menschen aus Gaschenk und Hügelzwerge aus Durinion und mehr Volk aus den anderen Orten der Baronie waren nach Steinbrücken gekommen, Krämer und abenteuerlustige Lehrburschen aus Angbar gar, Wandergesellen, Gaukler und fahrendes Volk. Kurz: Es war ein Fest wie lange nicht gesehen, und wieder und wieder klopften die Versammelten in und um Burg Flussfels mit ihren Humpen im Takt und riefen „Hoch!“ und „Vivat!“, bis das Brautpaar sich auf den Zinnen zeigte und sich bejubeln ließ.

Allein bekommt man Hügelländer nicht

Erst dann konnten Brautleute sich wieder ihren privaten Gästen widmen. Neben den erwähnten Familienmitgliedern und den Rittern und Edlen Vinansamts waren dies so edle Gäste wie der Lehnsherr des Barons, Graf Wilbur vom See, und der ebenso hochwohlgeborene Meister Growin, wackerer Graf von Ferdok (seit längerer Zeit als Herr Wilbur an Jahren zählt schon!). Den Ferdoker begleiteten seine derzeitigen Ratgeber Dariana von Albersrode und Morwald Gerling sowie als zwei Lanzerinnen als Ehrengeleit. Der junge Hügelländer war hingegen mit einem ungleich stattlicheren Gefolge erschienen.
Neben seiner Leibgarde in den prachtvollen, vom vorherigen Grafen Orsino höchstselbst entworfenen Uniformen und einer Schar Pagen und Dienstboten begleiteten Wilbur sein Großvater Ermst vom See, Erbvogt Hernobert von Falkenhag, Junker Immo von Gormel und dessen Töchter Ilma und Perainlieb. Zwei Falkner trugen die Lieblingstieren des Grafen zur Schau, denn dieser hatte seit einiger Zeit Gefallen an dieser edlen Form der Jagd gefunden.
Von den Nachbarn des Barons fehlte der in der Ferne weilende Herr Wolfhardt von Oberangbar (die Abwesenheit des Dichterfürsten wurde allgemein bedauert). Gekommen waren jedoch die gereifte, doch weiter durch ihre Schönheit bestechende Tsaja-Josmene von Garnelhaun mit ihrem Bruder Brin (dem einstigen Knappen des Vinansamters), die freudig ihre Schwester, die Ferdoker Lanzerkorporalin Goswine in die Arme schlossen.
„So sind wir Hügelländer, allein bekommt man uns nicht, Familie gehört dazu“, scherzte Herr Erlan, der neue Baron von Sindelsaum. In seinem Fall war dies seine Gattin Alvide, sein Vater Alderan und der Sohn Ambros, der künftig Knappe des Vinansamters sein sollte.

Auftritt der Elben

Ungewohnt für brave Hügelländer war freilich der Anblick der Baronin Tahlmare von Linara, und das nicht nur, weil die Herrin der garetischen Lande jenseits des Großen Flusses und ihr koscher Nachbar Stoia in den vergangenen Jahren nur dann und wann Kontakt miteinander gepflegt hatten. Nein, die Baronin mit dem langen, hellblonden Haar war zudem noch eine Halbelfe! Während aber noch mancher staunte, was es nicht alles im Garetischen gab, sprach sich unter den Gästen herum, dass noch jemand anders zugegen war, in dessen Adern sich elfisches und menschliches – und nicht irgendein menschliches Blut! - miteiander mischten.
Der Mann war offensichtlich noch jung, auch wenn sich schwer sagen ließ, ob er nun zwanzig oder dreißig Götterläufe zählte. Seine rotbraunes Haar waren in dünne Zöpfe geflochten, Gehrock und Dreispitz trug er mit solcher Eleganz, dass man schon deswegen erahnen könnte, was sich aus seinen Gesichtszügen noch deutlicher lesen ließ: Dies war Velutherion vom Grauen See, der Sproß der Liebe des Grafen Orsino und einer Elbe aus einer vergangenen, unschuldigeren Zeit. Lange hatte man den Halbelfen nicht im Kosch gesehen. Er war einst mit Baroness Isida von Trappenfurten verschwunden, als diese als Knappin in der Obhut des Vinansamter Barons weilte.

Gelöste Zwiste

Nun traten die entschwundene Knappin und ihr vermeintlicher Verführer (als den man den Halbelfen eingedenk seiner angeborenen Liebe zu Musik und Dichtkunst und des rahjagefälligen Rufs seines Vaters betrachtete) vor den Baron von Vinansamt. Er hatte ihnen damals nachgespürt, bis er vor Gareth die Spur seiner Schutzbefohlenen verlor. Ein wenig scheu stand Isida, das Mädchen von einst nun vor Stoia, an seiner Seite Velutherion, an der Hand einen kleinen Knaben, beider Sohn. Die junge Familie überbrachte dem Baron und seiner Gemahlin die besten Grüße von ihrer Mutter, Baronin Veriya von Trappenfurten, denn zwischen den beiden Lehnsherren war trotz Isidas Verschwinden kein Leid entstanden.
„Erlaubt nun, dass ich ... dass wir Euch persönlich um Verzeihung bitten, Euer Hochgeboren. Dieser Tag steht auch unter dem Zeichen der Herrin Tsa, da Ihr einen neuen Bund geschlossen, so hoffen wir, dass auch Ihr uns die Möglichkeit eines tsagefälligen Neuanfangs gewährt“, schloss die sonst fröhliche und unbekümmerte Isida ihre Worte an den Baron. Der akzeptierte die Entschuldigung mit raschen Worten und hätte fast hinzugefügt, er sei auch einmal jung gewesen, beließ es dann aber bei einem „Ende gut, alles gut. Ihr müsst Gid... meiner Gemahlin und mir später alles erzählen, was Eure Mutter noch nicht geschrieben hat und wie Ihr nun in Trappenfurten lebt.“
Schon verlangten die nächsten Gratulanten die Aufmerksamkeit des Hochzeitspaares, der wackere Baron Kordan von Blaublüten-Sighelms Halm zur Geistmark, nebst seinem Knappen Enno von Rohalssteg, welcher ein wenig enttäuscht schien, dass sein Vater, der Baron Rohalssteg, sich ungeachtet seiner Freundschaft mit dem Vinansamter hatte entschuldigen lassen.
Baron Kordan ließ auch seine Gemahlin Mechtessa von Lutzenstrand-See entschuldigen, überbrachte dafür aber gleich doppelte Grüße. Zum einen von allen nicht erschienenen Kameraden vom Orden der Hanghasenjagd: „Allen ist das von Euch ausgerichtete Biwak zum Junggesellenabschied noch in guter Erinnerung, bester Stoia. Man freut sich darauf, auch mit Euch als Jungvermähltem demnächst neuerlich anstoßen zu können. Zum anderen schickt Euch Graf Jallik von Wengenholm die besten Wünsche. Als er just auf Burg Halmwacht zu Gast war, trug er uns auf, Euch mit diesem traviagefällige Schnitzwerk zu bescheren.“
Mit diesen Worten überreichte Kordan den Hochzeitern ein von der Meisterin Buchenwurz gefertigte Gänsestatue, eine herrliche Gabe, doch fragte sich der Baron Stoia nun, ob er den Grafen von Wengenholm – der ihm nicht Lehnsherr und auch nicht gleichsam vertraut wie Herr Growin von Ferdok war – selbst hätte einladen müssen . Gidiane sah seine sorgenvolle Braue.
„Denk an die Ankündigung!“ raunte sie ihrem Gemahl zu.

Und immer wieder: Falkenhag

Das junge Paar aus den Nordmarken war indes froh, seine wichtigste Aufgabe auf dem Feste erfüllt zu haben. Nun hielten Velutherion und Isida Ausschau nach dem von ihnen verehrten Dichterfürsten Wolfhardt von der Wiesen, vergebens, wie sie wohl feststellen mussten.
„Er ist nicht da. Wenn du Verse tauschen willst, musst du mit mir vorliebnehmen“, hörte Velutherion da von hinten eine vertraute Stimme. Es war Hernobert von Falkenhag, der seinen Neffen freundlich, aber mit ernstem Blicke maß.
Velutherion war nun nicht mehr bloß ein kleiner halbelfischer Knabe, dem er das Lautenspiel beibrachte, sondern ein erwachsener Bastardsohn seines ohne rechtmäßigen Erben gestorbenen gräflichen Bruders Orsino.
Nun saß freilich auf Orsinos früherem Schloss ein anderer Graf, und bestellte nun den Halbelfen zu sich: „Hochwohlgeborenen Wilbur vom See wünscht Euch zu sprechen“, gab Hernobert die Worte des Grafen weiter.
Bei der folgenden Unterredung im Beisein von Hernobert und Graf Wilburs Großvater Ermst vom See beeilte sich Velutherion zunächst, dem jungen Grafen zu versichern, dass er – angesichts des weisen Ratsschlusses von Kaiserin und Fürst und der Umstände seiner eigenen Geburt – keinerlei Ansprüche auf das Grafenerbe seines Vaters Orsino hege. Der Graf indes zeigte sich höchst interessiert an der Person des Halbelfen, aber auch an den Erzählungen der aufgeweckten Isida über das Leben in Gareth und in den Nordmarken, hinter deren Schilderungen ihr Gemahl oft in den Hintergrund trat.
„Ihr müsst uns einmal auf Grauensee besuchen kommen, wenn Ihr mögt ...“, ließ sich Wilbur sogar vernehmen.
Zu den Gästen aus Trappenfurten zählte auch Isidas Adoptivbruder Koradin, ein junger Recke, der vom Landgrafen Alrik den Ritterschlag erhalten hatte. Obwohl er eher ein Mann des Schwertes als der Worte zu sein schien, kam er auf seine unverblümte Art doch recht schnell mit anderen Gästen ins Gespräch. Geschmeichelt warf Koradin sich in die Brust, als ihm gar der hochwohlgeborene Meister Growin ein freundliches Nicken schenkte, da dieser ihm von einem Adelstreffen im Isenhag bekannt war.
„Zu Euren Diensten, Väterchen!“
Diensteifrig machte der junge Hinterkoscher ein paar Schritte auf den Grafen zu, der eigentlich gerade in ein Gespräch mit dem fürstlichen Cantzler Nirwulf vertieft war, stolz, zudem noch seine Konversationsfertigkeiten in der Sprache der Angroschim unter Beweis stellen zu können.
Wohlwollend tätschelte der fürstliche Cantzler nach einigen Minuten den Oberarm des jungen Recken.
„Gut gesagt, junger Mann. Aber wenn Ihr nun zum ersten Mal im Kosch und die Edlen des Landes kennenlernen wollt, wie Ihr sagt, solltet Ihr nicht mit einfachen Angroschim wie uns sprechen – das könnt Ihr auch in ein paar Jährchen noch. Schaut doch erst einmal, dass Ihr hier die jungen Menschen in Eurem Alter kennenlernt.“
Korporalin von Garnelhaun, begleitet doch den Herrn aus den Nordmarken hier ein Weilchen und sagt Ihm, wer wer ist, damit er nicht als ein ungehobelter Bergbursch erscheint“, pflichtete Graf Growin dem Cantzler bei.
"Growin, hat er dich vorhin wirklich nach der Ernte deiner Frau, deines Bruders und deines Schürhakens gefragt?", erkundigte sich Nirwulf, nachdem der Gratenfelser außer Hörweite war. Der Graf nickte.
„Und die breithüftige Tochter des Steuereintreibers vom Eisenwald, bei deren Verbrennung er anwesend war, damit meinte er die Feuertaufe von Ganbrixa, Ghambirs Töchterchen. Ich fürchte, der stolze Junge wird heute noch andere unseres Volkes mit seiner privaten Variante des Rogolan traktieren.“
Nirwulf schmunzelte, dann bemerkte er, dass das Essen aufgetragen werden sollte und es Zeit war, sich auf seinen Ehrenplatz zu begeben.
„Von dir erwartet man doch sicherlich einen Trinkspruch, Growin.“
In der Tat sollte der Graf nach den Eltern des Hochzeitspaares einige Worte zu Ehren der Jungvermählten sagen (den ersten von vielen Trinksprüchen an diesem Abend), war er doch einer der ältesten anwesenden Freunde Merwerd Stoias und seit seiner Erhebung zum Baron stets ein väterlicher Ratgeber gewesen. Viele andere aus jenen Tagen waren nicht anwesend – der Bragahner nicht, der Rohalssteger nicht, der Moorbrücker einem traurigen Ende anheim gefallen und nun auch noch der Twergentrutzer von Deren verschieden, dachte Merwerd Stoia.
Dafür war er als Reichsrichter nicht umhin gekommen, zumindest die ihm vertrautesten Kollegen aus dem Reichsgericht einzuladen, obschon hier Verwicklungen mit einher zu gehen drohten. Baron Graphiel von Metenar, mit dem sich Stoia und Bragahn überworfen hatten, war jedoch erwartungsgemäß nicht erschienen, dafür seine von allen geschätzte Gemahlin Ina.

Familienfeindschaft

Auch Reichsrichter Hagen von Salmingen-Sturmfels, unumstrittener Baron zu Dunkelforst und Baruns Pappel, dessen gemeuchelter Vater aus den Nordmarken stammte, ließ sich von seiner Gemahlin Ansoalda von Leihenhof vertreten, die von seiner Mutter Frylinde von Salmingen begleitet wurde.
Zugegen war jedoch Hagens Halbbruder, Angrond von Sturmfels, ebenfalls Reichsrichter und Widersacher Hagens im Streit um die Baronswürde von Dohlenfelde. Die umstrittene Baronie am Großen Fluss war von Hagen und seinen treuen Verbündeten im Spätherbst mit der Unterstützung der Herzogenstadt Twergenhausen im Sturm genommen worden, Angrond lebte seither im Exil in Eisenhuett – der Baronie, aus der seine Gattin Isida von Quakenbrück stammte.
In den Nordmarken herrschte seit dem kaiserlichen Hoftag zu Weißenstein gespannte Ruhe: Alle warteten auf eine Reaktion Angronds und seiner Unterstützer. Beide Familienzweige saßen an gegenüberliegenden Ende der Tafel und übten sich in eisiger Missachtung der jeweils anderen Seite.
Doch während Baron Stoia vermieden hatte, in der Angelegenheit Partei zu ergreifen, teilten nicht alle seine Gäste diese Einstellung. Baron Erlan von Sindelsaum sprach sich bei Tisch für Baron Hagen aus und erregte damit das Missfallen von Bulroms Sohn Bromul. Der Zwerg, zusammen mit seinem Bruder lange Zeit einer der wichtigsten Ratgeber des Grafen Orsino, verwies auf das Vorrecht des Älteren auch in diesem Fall, und erntete damit Kopfnicken.
„Es ist nicht gut, dass Väterchen Growin diesbezüglich nicht deutlicher wird“, erklärte sein Bruder Bibrosch. „Wie steht Ihr dazu, der Ihr aus den Nordmarken stammt?“
Der angesprochene Koradin von Trappenfurten zögerte kurz: Immerhin war ihm eingeschärft worden, bei seinem Auftritt im Kosch keine Fehler zu machen.
Dann antwortete er geradeheraus das, was sein Herz ihm sagte: „Die Brüder hätten ihren Zwist ausfechten sollen, anstatt Krieg über den Eisenwald zu bringen und damit vielen Unschuldigen Leid und Tod. Ein rondrianischer Zweikampf, Mann gegen Mann, sauber und ehrenvoll. Allerdings ... wenn Herr Hagen aber schon hier nicht erscheint, weil er ...“
„Seid versichert, wir betrachten die Erbschaftsfrage als Angelegenheit der Familie Sturmfels“, fiel Koradin da seine Schwester Isida eilends ins Wort. Die Baroness von Trappenfurten hatte sich zuvor an dem weiter schwelenden Konflikt offenbar nicht gestört, sondern sowohl mit Baron Angrond als auch mit Baronin Ansoalda einige höfliche Worte gewechselt. Doch das freundliche Anlitz des Erlan von Sindelsaum hatte bereits leichte Farbe angenommen.
„Herr von Trappenfurten!“ hub er an. Auf der anderen Seite der Tafel straffte sich indes in einiger Entfernung die bisher entspannte Gestalt des Angrond von Sturmfels, dem der Wortwechsel nicht entgangen war.
„,Herr von Trappenfurten ...“, Erlan von Sindelsaum suchte nach Worten, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte.
„Erlan!“
Gestützt auf seinen Sohn hievte sich der greise Alderan aus dem Sessel und hob seinen Pokal.
„Ein Trinkspruch! Als ältestem Anwesenden des Menschenvolkes sei mir ein Trinkspruch auf das Brautpaar gestattet!“

Graf Jalliks zweite Botschaft

Frylinde von Salmingen schickte dem alten Sindelsaumer, dem sie in Freundschaft und Hesindeglauben verbunden war, ein stummes Lächeln der Dankbarkeit über die Tische, als dieser sich wieder in einen Stuhl sinken ließ. Mit einigen geistreichen und charmanten Worten hatte der Familienpatriarch die Situation wieder entspannt und dem Wunsch Ausdruck verliehen, dass sicher nicht nur er sich nun ein wenig koscher Musik erhoffe und wohl nicht fürchten müsse, dass der Bräutigam ausgerechnet daran gespart habe.
„Keineswegs, bester Nachbar Alderan!“ entgegnete Baron Merwerd, der sich nun seinerseits erhoben hatte. „Zwar wollte ich eigentlich noch selbst erst einige Worte an Euch, meine – unsere – lieben Gäste widmen, doch will ich das gern noch ein wenig aufschieben, auf das] wir unterdessen dem Zwergenchor Durinion lauschen können.“
Auf einen Wink marschierten die Sänger in die Halle, nahmen Aufstellung und ließen ihre Stimmen erklingen. Nach dem dritten Liede, als sich eben die Steinbrücker Blaskapelle hinzugesellen wollte, richtete sich Baron Merwerd erneut in seinem Sessel auf und begann seine verschobene Ansprache.
„Keine Angst, werte Gäste! Ich will nun hier die Gesellschaft nicht mit langen Danksagungen ermüden, sondern solches lieber gemeinsam mit meiner Frau später bei jedem einzelnen von Angesicht zu tun. Nur eine Ankündigung will ich machen – und auch hier braucht niemand erschrecken, der sich erinnern kann, wie ich vor langen Jahren bei einem Fest auf Flussfels ebenfalls eine Ankündigung tat. Damals folgte ich Aves Ruf und begab mich auf eine Reise – in jugendlichem Geiste nicht ahnend, dass bald die Schwarzpelze Schrecken und Tod über Vinansamt und den Kosch bringen sollten. Dank sei noch mal dem Recken Halmar von Ödenhof, der heuer an Rondras Tafel sitzt, und allen, die mit ihm kämpften, um Schlimmeres zu verhindern. Auch Halmars Sohn Willan hier, der schon damals mein Verwalter war, will ich nicht vergessen. Dass ich in jenen schrecklichen Tagen fernab weilte, habe ich stets bereut.“
Der Baron machte eine Pause.
„Gutzumachen ist dies auch nach Jahren nicht. Nun will ich aber bekanntgeben, dass Vinansamt nicht nur eine Baronin bekommen hat, sondern – mancher ahnt es schon – auch ich selbst künftig mehr denn je in Steinbrücken zu finden sein werde, um meinen Pflichten als Baron besser nachzukommen – und natürlich meinem erweiterten Privatleben, liebe Gidiane. Seine Durchlaucht war so freundlich, mir zu gestatten, das ebenso ehrenvolle wie pflichtenreiche Amt des Säckelmeisters in jüngere Hände zu legen. Was nun meine Position im Reichsgericht angeht ...“
Erneut pausierte der Baron kurz, Tuscheln und Hoch-Rufe regten sich schon unter den Versammelten, als mit einem Mal die Tore des Saales aufflogen.
„Ein Bote! Ein Bote aus Wengenholm!“ rief eine der Burgwachen, da stürmte dieser auch schon an ihr vorbei. Einige im Saale erkannten den jungen Mann im Rüstzeug, der vor die Ehrentafel hintrat, den Blick über die versammelten Herrschaften schweifen ließ und offensichtlich jemanden suchte, den er nicht gleich erblickte.
Doch Baron Kordan von Geistmark hatte ihn seinerseits erspäht: „Globerich Bockzwingel auf Bockenbergen! Welche Nachricht bringt Ihr, dass Ihr einen solchen Auftritt macht? Sprecht!“
„Verzeiht, Hochgeboren, Ihr Herren Grafen ...“
Nun sammelte der Junker sich und richtete sich an den Baron von Geistmark.
„Doch sandte Euer Herr, Graf Jallik, mich, bevor Euch die Kunde aus anderem Munde erreichte. Schlimmes ist geschehen, doch Schlimmeres verhindert! Ein Frevel wider die Herrin Peraine!“
Und so erfuhr Baron Kordan – und mit ihm die Festgesellschaft - von seinem Lehnsmann Globerich, was sich in der Geistmark Schreckliches getan hatte: Eine Bande aus bösen Menschen und Goblins unter Führung des Schurken Drugol, einstige Spießgesellen des Jergenquellers wohl, hatte die Baustelle des Klosters Storchsklausen überfallen.
„Vater Umbold ward erschlagen, mancher Knecht verwundet. Die edlen Frauen Iralda von Bodrin und Mechtessa von Falkenhag aber führten sie mit sich fort.“
Unter den Zuhörern brach sich Entsetzen Bahn, und Globerich schrie fast, als er weitersprach, um die Unruhe zu übertönen.
„Doch keine Angst, hört weiter! Zwei Hirten entkamen dem Überfall und eilten, um Eure Gemahlin zu verständigen und den Grafen selbst, der mit seiner Schar noch kurz zuvor eine nahe Sendschaft besucht hatte. Im Unglück war das Glück mit uns, das Blut der Schurken klebt noch an meinem Schwert. Auch wenn die meisten uns entkamen – die Edelfrauen sind frei und wohlbehalten, dank des tapferen Grafen!“
„Hoch Graf Jallik! Hoch! Hoch!“ erschollen nun die Rufe. Während zartere Gemüter trotz der Erleichterung noch blass im Gesichte waren – um der Wahrheit genüge zu tun, zählte auch Graf Wilbur hinzu, dem es ob seiner Jugend bisher nicht vergönnt war, sich im Kampf zu bewähren – zogen rondrianischer gesinnte Gäste die Schwerter, und der erste, der es tat, war Baron Kordan von Geistmark.
„Habt Dank, Globerich“, sprach er mit grimmiger Miene ob der Dinge, die sich da während seiner Abwesenheit getan hatte. „Als Scharmeister Wengenholms nehme ich an, der Graf hat noch weitere Botschaft für mich. Wann ziehen wir aus? Im Rondramonde?“
„Im Rondra“, bestätigte Globerich.
Nun verschaffte Kordan sich seinerseits Gehör: „Höret! Was genug ist genug! Bis zum 1. des Praiosmondes sollen die Schurken, die dies taten, Zeit haben, ihre Untaten zu bereuen und sich freiwillig der Gerechtigkeit stellen. Verkriechen sie sich aber in Löchern und Höhlen, dann ruft Graf Jallik zum Heerzug und wird im Monde der Leuin gegen jene Banditen ziehen, die seine Lande plagen, in Albumin und anderswo. Schon einmal haben wir unter Gräfin Ilma Albumin vom Geschmeiß befreit – das soll auch diesmal unser Ziel sein. Rondra mit uns!“
Erneut brandete Jubel auf, und Koradin von Trappenfurten drängte nach vorne, bis er vor dem Geistmärker stand.
„Wenn Ihr noch einen Waffenarm braucht, so will ich ihn Euch leihen. Zwei göttergefällige Taten habe ich vollbracht, zwölf harren meiner noch – dies scheint mir eine gute Gelegenheit, im Geist des Greifen und der Leuin zu streiten!“
„Tapfere Worte, und wohl gesprochen“ hörte man nun die junge Stimme des Grafen vom See, der nicht laut, aber doch fest sprach. „Auch wenn Ihr hier der bald einzige Veteran dieses Kriegszugs zu sein scheint – ich wurde erst kürzlich in der Historie dieses Kriegszugs unterwiesen und weiß wohl, dass Wengenholm damals nicht allein stand. So sollen meinem Bruder Jallik auch diesmal Streiter aus den Hügellanden zur Seite stehen.“
Der Graf und der hinterkoscher Recke sollten nicht die einzigen bleiben, die ihren festen Willen bekundeten, dem Wengenholmer Banditenunwesen ein Ende zu setzen. Und so kam es, dass man darüber auf dem Feste mehr sprach, als über die unvollendet gebliebenen Ankündigungen des Barons von Vinansamt. Das aber schien diesem nicht unlieb zu sein, und mit seiner neuen Gemahlin zog er sich später still zurück, während seine Gäste die Musikanten noch ein um das andere Mal um rondrianisches Liedgut baten.
Stitus Fegerson