Die Rabenschnäbel : Teil 4

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Texte der Hauptreihe:
K1. Prolog
K2. Teil 1
K3. Teil 2
K4. Teil 3
K5. Teil 4
K6. Teil 5
Bor 1030 BF
Teil 4
Teil 3


Kapitel 5

Teil 5
Autor: ?

Briefspielgeschichte der Golgariten

Burg Mersingen, Rabenmark, Boron 1030 BF

Aquileya von Erzfeldt stand bereits wieder auf ihren Beinen, als Firutin angehastet kam. Die letzten Worte des Graumantels über die verbrannte Haut des Fremden und dessen merkwürdige Stimme waren das erste, das er wahrnahm. Er stutzte kurz und sah zwischen Auqileya und dem fremden Knappen hin und her. Dann verbeugte er sich höflich vor Aquileya. „Verzeiht, dass ich störe, Euer Gnaden, ich bin Firutin vom Weidbach. Seine Gnaden, der Schwingenführer, hat mich an Euch verwiesen. Ich würde Euch gerne sprechen wenn es möglich ist. Verzeiht meine Dreistigkeit, aber ich sah Euch straucheln. Ist alles in Ordnung?“

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Das Schamgefühl, das Aquileya dereinst empfunden hatte, wenn eine Vision oder ein ähnlicher Moment der Schwäche sie vor anderen Leuten übermannte, meldete sich kurz – wie eine liebgewonnene alte Gewohnheit, ein Gruß aus der Vergangenheit. Sie spürte ihm kurz nach, ließ es aber sofort wieder fallen und richtete ihre Augen nach außen, auf Firutin und Timokles. Die beiden waren so unterschiedlich... Und ihre Unruhe, ihre unausgesprochenen Fragen hingen schweigend in der Luft. Timokles Atem ging unregelmäßig. Welche Antwort, welche Erklärung soll ich euch denn geben? In Ordnung? Nichts ist in Ordnung, so waren ihre ersten bitteren Gedanken. Doch die beiden waren nichtsahnend in diese Angelegenheit hineingerutscht – der Knappe angeschoben vom Fremden mit dem Rabenschnabel, der Initiant schlicht durch die Tatsache, zur falschen Zeit am falschen Ort aufgetaucht zu sein. Ihnen machte Aquileya keinen Vorwurf. Nachdenklich zog sie ihren Wappenrock zurecht und wischte dann mögliche Nachfragen fast ein wenig brüsk beiseite: „Macht euch um mich keine Sorgen.“ Doch, befand die Ritterin, wirkten die beiden jungen Männer wenig überzeugt und beunruhigt. Dann packte ein anderer Gedanke sie. Wenn Timokles wahr gesprochen hat... Es schmerzte. Was hatte er gesagt? Brennende Kälte? Und Firutin? Sprechen... Er kam vom Schwingenführer und wollte sie sprechen, hatte Fragen. Die Zeit des Schweigens war – wieder einmal – vorüber. Der Große Rabe schien es ironischerweise so zu wollen, indem er ihr die jungen Männer sandte. Und wer war sie, sich Seinem Eisernen Willen nicht zu beugen? Sie, die Sein Heiliges Schweigen dereinst an den Gestaden des Nirgendmeeres gebrochen hatte und dafür lange Zeit gebüßt hatte? „Wir werden sprechen, Firutin, wir werden. Doch etwas anderes ist zunächst wichtiger.“ Nach einer kurzen Pause, in der sie dem Initianten und dem Knappen gleichermaßen eine Hand auf die Schulter legte und sie mit sanftem Druck dazu bewegte, den Kreis enger zu schließen, fuhr die hagere Ritterin im Flüsterton fort: „Ich kenne nicht die Gefahr, die ihren dunklen Hauch in unsere Reihen trägt und deren Botschaft du mir überbrachtest, Timokles. Aber dieser Hauch hat auch mich gestreift, und ich spüre, dass wir unweigerlich in eine Pflicht genommen werden, die uns derzeit unbekannt ist.“ Falten gruben sich in Aquileyas noch schweißnasse Stirn. „Ich kann und will euch nicht zwingen, nur inständig bitten, mit mir einen Eid abzulegen. Zu schweigen über das, was hier vorgefallen ist, über den Fremden beim Konsistorium insbesondere und über den Rabenschnabel – bis dass Unser Herr von uns einfordert, das Schweigen zu brechen.“ Nun war sie diejenige, die fragend blickte.

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Timokles’ Kehle war noch immer wie ausgetrocknet. Der Tränenfluss jedoch war versiegt. Ein Gefühl umklammerte sein ganzes Bewusstsein, dass hier etwas Besonderes geschah, und so merkte er, wie er ohne es beabsichtigt zu haben „Ita sit – so sei es“, antwortete. Seine Gedanken kreisten dabei weiterhin um die Worte der Golgaritin: Schweigen? Sprechen? Unbekannte Pflicht? Ein Trieb, ein Drängen in seiner Seele verlangte, mehr darüber zu erfahren, mehr über die Waffe, mehr über diese sonderbare Ritterin und vor allem mehr über diesen Mann, dessen Existenz ihm den borongefälligen Schlaf raubte. Dies alles möge jedoch in Stille und Kontemplation geschehen, wie Boron es verlangt, maßregelte er sich selbst im Stillen.

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Firutin war verwirrt. Was hatte es mit dem Rabenschnabel auf sich? Warum hatte Aquileya einen Schwächeanfall gehabt? Und wer war der Graumantel eigentlich? Firutin fühlte sich versucht, genau zu fragen, was hier eigentlich los sei. Er wollte Aquileya eigentlich wegen seiner Initiation ansprechen. Seine Gedanken rasten. Die Sache kam ihm mehr als merkwürdig vor. Kurz kam ihm sogar der Gedanke, dass der unbekannte Graurock irgendwie dafür verantwortlich sein könnte, was der Ritterin zugestoßen war. Die alte Neugier meldete sich, Zweifel machte sich breit. Doch irgendetwas hinderte ihn daran, sofort loszuschießen. Doch um eine Sache kam er nicht herum. Tief sog er Luft ein. Dann straffte er seine Haltung und traf er eine Entscheidung. „Ich schließe mich an. Aber...“ Sein Blick wanderte zu dem Graumantel. „Wer seid Ihr, wenn ich fragen darf?“