Der „Rabbatzmann“ — nur eine Sagengestalt?

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Ausgabe Nummer 22 - Ingerimm 1021 BF

Aus Koscher Sagenwelt: Der „Rabbatzmann“ — nur eine Sagengestalt?

Nicht ganz geheuer ist es seit jeher in den tannenbestandenen Tälern und kargen Höhen des Wengenholmer Berglandes. Rauh sind die Winter und derb die Gemüter der Almhirten, die auf den Hochweiden oft viele Wochen in Einsamkeit, nur mit ihrem Vieh und einem treuen Hund aus dem Geschlecht der Trutzer zubringen müssen. Wen wundert’s da, daß sie sich allerlei seltsames Garn zusammenspinnen und von wunderlichen Bergwesen fabeln. Doch mag es gut sein, daß an diesen Lagerfeuergeschichten mehr daran ist — wie der nachfolgende Bericht des durchaus glaubwürdigen Wandergesellen Bibrusch Hirselkober aus Stanniz zeigt:

„Ich bin meines Zeichens Schuster und machte im Traviamond über den Greifenpaß. Die merkwürdigen Sitten der Hinterkoscher schreckten mich nicht, denn ich hatt’ von einem sagen hören, dessen Oheim selbst aus Gratenfels kam und der ein genauso flink mit Ahle und Leisten war wie nur einer sonst aus unserer Werkschaft2. Wer hätte nun sagen mögen, daß mir die größte Merkwürdigkeit von allen grad’ widerfuhr, bevor ich noch die Marken unseres trauten Koschlands hinter mir gelassen hatte, daß mir daß Herz in Hose rutschte. Wie sollte’s da denn erst im Hinterkosch sein? Beinah wär’ ich umgekehrt, hätte’s nicht überall geheißen, der Landgraf brauche viele neue Stiefel für seine Soldaten und zahle fürstlich.

Mein Säckel hatte ich voll mit allerlei gutem Lederzeugs und gehämmerten Sohlen, so daß mir das Wandern arg zur Plage geworden ist. So kam es, daß ich mich beim Niedergang der Praiosscheibe boronseelenallein irgendwo mitten im düstern Forst befand. Da bekam ich’s dann doch mit der Angst, als drunten im Tal auch die Wölf’ mit ihrem Heulen anhuben. Wie ich mich aber so umschaue, sehe ich durch das Dickicht einen schwachen Feuerschein. Ich gehe draufhin und finde auf einer Lichtung einen großen, groben Kerl, der beinah’ ein Troll sein könnte. Er hatte ganz zottliges, rotes Haar, das hing ihm bis auf die Schultern herab, und einen wüsten Bart und eine Nase wie der Erker eines Koschtaler Krämerhauses.

Über dem Feuer hatte er ein Bergkarnickel am Braten, und in der großen Pranke schon eine fettige Keule. Da guckte er nun in meine Richtung, daß es mich heiß und kalt überlief. Der Zottelbart aber winkte mir mit dem Schlegel und hieß mich setzen und sein Mahl mit ihm zu teilen. Nach meinem Namen fragte er mich, und ich nannte ihn als einen durchaus ehrbaren. Seinen Namen aber wollte er mir nicht sagen, und das machte mich schon ein wenig stutzig. Aber weil er mir so freundlich von seinem Essen abgab, schöpfte ich keinen großen Argwohn.

Nachdem wir nun gespeist hatten wie Nirwulf am Praiostag, ließ er noch einen Lederschlauch mit Hollunderwein zwischen uns hin- und herwandern, und in solch trummliger Laune überredete er mich zu einem Spielchen. Er fischte auch sogleich einen ledernen Becher mit drei Würfeln hervor, und wir begannen eine Partie ‘Tralliker Schnick’ zu spielen, nur zum Phexensspaß. Nach vielleicht einem halben Dutzend Würfen jedoch tönte er: ‘Auf, Gesell, jetzt wollen wir aber um ‘was rechtes spielen. Her die Taler!’

Mir gefiel das gar nicht, hatte ich doch gerade noch ein paar Heller und einen einzigen blanken Eber von meiner letzten Schaffe im Säckel, die ich nicht durch Meister Phexens Ungemach verlieren wollte. Aber schließlich gab ich dem Drängen des Fremden nach und griff nach den Würfeln. Wie überrascht aber war ich von meinem eig’nen Glück, daß die ersten drei Runden mir Sieg um Sieg bescherten, und — nunmehr kühn geworden — setzte ich mehr.

Wieder gewann ich und strich zufrieden vier Rohalsnickel ein. Daraufhin wurde der Zottelbart ärgerlich und zog einen sehr gewichtigen Beutel hervor: ‘Da, Geselle’, rief er, ‘alles oder nichts. Mein ganzes Gold gegen all deine Münzen!’ Und da ich doch im Siegesrausch war und den Himmelsfuchs über mir wachend wähnte, gab ich meinen Obulus daneben. Ich warf die drei beinernen Würfelchen, und da waren es zwei Sechsen und ein Fünfer!

Schier hätte ich nach dem Gelde gegriffen, als die große Pranke mich abhielt und der Wüstling tönte: ‘Erst werfe ich!’ Dann schüttelte er den Becher, daß es nur so rasselte, und heraus sprangen — praiosmituns! — drei Sechsen!

Da ward ich all mein Hab und Gut los, der Fremde aber packte sein Zeugs und wollte gehen. Mein Schimpfen und Flehen half nichts, er stapfte ohne zurückzublicken ins Unterholz und war weg. Da entdeckte ich, daß er die Würfel vergessen hatte. Wütend wollte ich sie gegen einen Felsen schleudern, da bemerkte ich ein Blitzen und Blinken, und wie ich mich’s versah, waren sie aus lauterem Golde, jeder wohl einen vollen Kaisertaler wert!“

Eine andere, nicht minder wundersame Geschichte berichten uns zwei Jägerinnen aus der Gegend von Trottweiher im Twergentrutzschen:

„Wir waren auf der Pirsch durch den Trotterbork und hatten die Fährte eines großen Fuchses gefunden, der schon seit geraumer Zeit in den Hühnerställen wildert. Wie wir aber der Spur folgten, kamen wir immer weiter dem Waldrand zu und schließlich auf den freien Berghang. Das kam uns ja schon seltsam vor, daß der Rotpelz so weit an die Höhen geht. Aber als es immer felsiger wurde, konnten wir ihn nicht länger verfolgen und wandten uns zur Umkehr. Da zeigte die Pallina auf eine Felsnase firunswärts, am Hang des Hahnekopp. Und da hab’ auch ich ganz deutlich eine Gestalt gesehen, groß wie ein Bär mit flatterten Haaren — ingrimmsrot waren die. Der Berggeist, da gab’s kein Vertun, wie er da oben hat mit den Armen herumgewedelt und die Faust geballt hat. Und schon haben wir’s hinterm Grat grollen und donnern hören, da zogen dicke schwarze Wolken über den Berg, und ein Unwetter ging los wie an den heißen Rondraabenden. Blitze hat’s geschleudert, daß die alte Fichte nicht weit von uns lichterloh in Flammen aufgegangen ist; und das Echo hat den Donner hundertmal zurückgeworfen, daß das ganze Tal gedröhnt und gepoltert hat, als brause die Wilde Jagd mit allen Hunden und Rössern hindurch. Da haben wir die Beine in die Hand genommen, das kannst du wohl glauben!“

Den Beschreibungen nach handelt es sich tatsächlich um den Berggeist, den die Menschen manchmal „Bocksreiter“ nennen, meistens aber wie die Zwerge „Meister Rabbatz“. Einmal wird er als zottiger Waldschrat oder Troll beschrieben, dann wieder als zauberkundiger Druide, der dem Wetter gebieten kann, oder als ungestümer rothaariger Gesell von großer Lustigkeit. Es heißt, er jage zum Vergnügen den Gemsen die steilsten Hänge herauf, stelle den Jungfrauen nach und treibe seinen Spott mit den Reisenden und Wanderern. Die Toren und Frechen bestrafe er (und schleudere nicht selten Felsbrocken oder Runkelrüben nach ihnen), aber den Rechtschaffenen könne er zu großem Reichtum verhelfen. Es gibt auch Bergknappen in den Mienen dort, die behaupten, der Rabbatz käme nächtens in ihre Lager und stehle ihre Nahrung, um Körbe voller Ungeziefer zu hinterlassen. Doch wenn sie ihn artig bäten, würde er meist die Sachen wiedergeben. Ob die beiden oben geschilderten Ereignisse nun wirklich Begegnungen mit dem Berggeist waren, möge sich der geneigte Leser selbst zusammenreimen.

2 — Werkschaft: Den städtischen Zünften ähnlicher Zusammenschluß der Handwerker eines Landstrichs.