Aus dem Tagebuch einer Boron-Novizin - (Un-)Glücklich verheiratet (Teil 1)

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Rondra 1044

Ob ich das Werk meines Herren je verstehen werde? Wieder einmal hat er eine treue Seele zu sich berufen. Wieder einmal hat er seinen Diener Golgari ausgesandt. Wieder einmal ist jemand gestorben. Dieses Mal war es Lisara Solhauer. Seid ihrer Seele gnädig, Schweigsamer, sie war eine gute Frau. Arme Lisara.

Es muss wohl kurz nach unserem Besuch passiert sein. Schon seltsam: Entweder eilt mir der Tod voraus oder aber er folgt mir auf dem Fuße und obwohl ich schon mein ganzes Leben dem Herrn Boron diene, kann ich mich einfach nicht so recht daran gewöhnen.

Es war Bram, der uns die Nachricht von Lisaras Tod überbrachte. Und so bedauerlich diese Nachricht allein schon war, noch bedauerlicher ist der Umstand, dass ihre Ziehtochter Isenta dadurch in arge Bedrängnis geraten ist und – davon berichtete auch Eberhalm – sie gegen ihren Willen an den Enkel eines Großbauern verheiratet werden solle. Dazu gäbe es einen Vertrag. Das machte uns alle – Bram, Grimrosch, Eberhalm, Xuronim und Nortalosch – hellhörig, obgleich letzterer weder Isenta noch ihre verstorbene Muhme Lisara kannte. Wir brachen noch am selben Tag auf.

Unsere Reise war wie immer kulinarischer Natur. Zuerst führte unser Weg nach Salzmarken, dort aßen wir Angbarsch auf Empfehlung unseres Herrn Ritters – alle bis auf Nortalosch. In Rohalssteg kosteten wir die Fischsuppe von Grimroschs Schwester – alle bis auf Nortalosch. Von Fisch hält er wohl nichts. Von Wasser noch weniger. Und beides zusammen: Einfach entsetzlich! Mich wundert das nicht, nachdem er uns damals im Keller mit seinem Feuer beinahe umgebracht hatte. Die Belmartkränze in Rhôndur bildeten den Abschluss unserer – man kann es wohl einfach nicht anders nennen – Völlerei. Manchmal träume ich schon von der ganzen Esserei: Ich muss essen und essen und die Schale vor mir wieder einfach nicht leer.

In Koschtal folgten wir weiter dem Grevensteig und schlugen über Neuensteinigen in Richtung Sonnenstubben ein. Eine Nacht mussten wir draußen in der Wildnis verbringen. Weil ich jedoch mein ganzes Leben hinter den schüzenden Mauern eines Tempels verbracht hatte, war ich beim Aufschlagen des Lagers keine große Hilfe. Und obwohl ich eine passable Köchin war, überließ ich das gerne unserem vorzüglichen Koch Grimrosch. So saßen wir gemeinsam am Feuer und aßen. Da stieß plötzlich ein rothaariger Knabe zu uns, der sich als Gröja vorstellte. Er hatte wohl Grimroschs Essen gerochen. Traviagefällig luden wir ihn zu uns ans Feuer ein. Wir unterhielten uns ein bisschen mit ihm, wobei er recht wenig sprach, dafür erzählte Bram recht viel und ausführlich. Irgendwann packte der Knabe eine Flöte aus und begann zu spielen. Grimrosch holte seine Sackpfeife heraus und entlockte ihr nicht nur schiefe Töne. Ich sang dazu.

Mitten in der Nacht erwacht ich dann plötzlich. Ich fröstelte. Es war kalt. Unser Lagerplatz war wohl nicht ganz ideal. Ich zog meine Decke enger um mich und schaute in das Licht des Madamals. Plötzlich erblickte ich das Gesicht Gröjas über mir. Freundlich schaute er mich an. Weich blickten seine Augen auf mich herab. Mir sei kalt, meinte er. Das stimmte freilich auch. Ob er nicht mein wunderschönes Gesicht unter meinem Schleier betrachten könne? Ewigkeiten blickte ich ihn an, konnte nicht fassen, dass er das gerade wirklich gefragt hatte, schließlich verneinte ich mit brüchiger Stimme. Die Narben würden ihn nicht stören, versuchte er es weiter. Auf die Frage, woher er davon wisse, erwiderte er mir lediglich, dass er eben tiefer hinabblicken könne und wiederholte seine Bitte, mein Gesicht betrachten zu dürfen, wenn auch nur kurz. Was er mit tiefer meine? Die Seele hinter der Fassade, erklärte er. Warum ich dies tun sollte, wollte ich wissen, immerhin sei er ein Fremder. Wieder versuchte er meine Bedenken wegzuwischen, ob er mir denn wirklich so fremd sei? Ich überlegte einen Moment, doch ich konnte mich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben. Ob ich mich fürchte? Vielleicht, meinte ich da nur, denn ich wollte nicht, dass jemand sich fürchtete, weil er mein entstelltes Gesicht sah. Ich mochte diese Blicke nicht. Ich konnte sie einfach nicht ertragen. Er sei anders, behauptete er, ihm würde das gewiss nicht passieren. Was er denn dort zu sehen glaubte? Er wolle mich sehen. MICH! Ich war mir nicht sicher, ob ich ihm glauben konnte, schließlich hatte das schon einmal jemand zu mir gesagt und das war nicht gut ausgegangen. Ein leichter Windhauch blies meinen Schleier nach oben. Ich spürte ihn auf meiner Haut. Gröja lächelte. Er hatte wohl gesehen, was er hatte sehen wollen, doch recht Ruhe wollte er noch immer nicht geben. Ob ich auch nicht wolle, dass er sich zu mir lege und mich wärme bis ich eingeschlafen sei? Natürlich wollte ich das nicht. Das erst recht nicht! Ich sagte ihm ziemlich eindeutig, dass er mich endlich in Ruhe lassen solle oder ich würde meine Freunde wecken. Er ließ mich in Ruhe, wünschte mir eine gute Nacht und ging. Kurz darauf muss ich wohl wieder in die Arme meines Herren geglitten sein. Am nächsten Morgen fand ich ein rotes Tüchlein an meinem Lager. Ich entschloss mich dazu, erst einmal niemandem etwas von dieser Begegnung zu erzählen. Es war ja nichts geschehen.