„Besser spät als nie!“
„Besser spät als nie!“
Vieska Markwardt zieht in die Neue Vogtei ein
ANGBAR, Praios 1048 BF. Eigentlich sollte zu Praioswend nicht nur das neue Jahr Einzug in Angbar halten, sondern auch eine neue Amtsinhaberin im Patriarchenpalais. Doch ganz so reibungslos verlief der Wechsel dann doch nicht.
Lange wartete man im Haus der Zünfte vergeblich auf das kaiserliche Schreiben, welches die Wahl der neuen Reichsvögtin bestätigen sollte. Als das Jahresende immer näher rückte, sandte man zur Sicherheit noch einen zweiten Boten aus – freilich in der Gewissheit, dass er die Antwort vor den Namenlosen Tagen kaum würde bringen können.
Die finstere Zeit verstrich, zäh und quälend wie stets, und längst war alles vorbereitet, um den Wechsel an der Spitze der Reichsstadt gebührend zu feiern. Doch ohne kaiserliches Siegel und Ernennungsschreiben war das nicht möglich. Zwar war es seit den Tagen Porquids nicht mehr vorgekommen, dass die Wahl des Rates nicht bestätigt worden wäre … aber was half das schon? Eine Bürgerschaft, welche den Wahlspruch „Treu, stolz, wacker“ im Wappen führte, konnte schlecht anders als eben treu zu sein.
Während manche von bangen Sorgen geplagt wurden, fanden sich auf der anderen Seite auch Spötter, die meinten, es werde wohl doch nichts mit der Vögtin aus dem Hause Markwardt … und tatsächlich blieb Bosper zu Stippwitz bis auf Weiteres im Amt.
Dann aber kam der Morgen des 5. Praios – und mit ihm der Bote im blaugelbroten Wams. Er brachte das erhoffte Schreiben – mit der Bestätigung Vieska Markwardts. Damit war es offiziell, die Ära Stippwitz war zu Ende. Allerdings ging aus dem beiliegenden Brief hervor, dass die erste Nachricht nie ihr Ziel erreicht hatte. Der erste Bote musste also auf dem Weg verschollen sein. Was war geschehen? Ein Unglück? Ein dreister Räuberüberfall? Hatte gar die finstere Charissia von Salmingen ihre Finger im Spiel? Sowohl der Rat der Zünfte als auch der Kanzler ließen Nachforschungen anstellen, aber ohne Ergebnis … zumindest ist der Schriftleitung des KOSCH-KURIER keines bekannt.
In Angbar aber atmete man auf, und die Amtsübergabe fand feierlich am zweiten Praiostag des neuen Jahres statt. Mit zitternden Händen überreichte der alte Vogt seiner Nachfolgerin die Schlüssel der Stadt (und die zur Neuen Vogtei) und hängte ihr die schwere goldene Kette um den Hals. „Besser spät als nie“, meinte Vieska Markwardt mit einem süßsauren Lächeln in der Antrittsrede vor dem Rat der Zünfte.
Vom Mittag bis in die Abendstunden wurde auf dem Neumarkt und im Ratskeller gefeiert, wie es sich gehört. Doch man sah an diesem Freudentag auch lange Gesichter; denn groß war die Zahl derjenigen, die lieber Garbo zu Stippwitz oder Nirdamon Sohn des Negromon im Amte gesehen hätten. Der Sieg Vieska Markwardts war eben nur ein knapper gewesen.
Die erste Amtshandlung der neuen Vögtin bestand darin, die wichtigsten Ämter neu zu besetzen. Mit ihrer Entscheidung sorgte sie für einige Überraschung, denn anders als erwartet gingen zwei der wichtigsten Posten nicht an Vertreter der „Rechtschaffenen“. Der seit vielen Jahren als Oberst-Wachtmeister bewährte Nirdamon Sohn des Negromon bleibt weiterhin im Amt; zum Säckelmeister aber ernannte sie – man höre und staune! – Beregond Halmar zu Stippwitz, den Sohn ihres ärgsten Konkurrenten! Die einen sehen darin den Preis, den Vieska Markwardt zahlen musste, um bei dem „starken Gegenwind“ im Rat ihre Ziele durchsetzen zu können; andere halten dies im Gegenteil für einen sehr geschickten Garadanzug.
In dieser Sitzung wurden auch die städtischen Greven neu gewählt. Der greise Anghalm Eisenstrunk stellte sich nicht mehr für das wichtige Amt des Mauergreven zur Verfügung; er nahm aber erfreut zur Kenntnis, dass seine Tochter Travine mit diesem Posten betraut wurde. Zum Schankwart wurde Grumosch Sohn des Gindrum, der Bruder des bekannten Wirtes Galosch Sohn des Gindrum, gewählt.