Ritter Boromils Gespür für das Moor - Spuren der Vergangenheit

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Neuvaloor im 1032 nach Bosparans Fall

Einen Tag nach Boromils Besuch bei den Wächtern Rohals meldete der kleine Alrik seinem Herrn, dass eine Magierin in der entstehenden Neusiedlung eingetroffen sei. Boromil hatte soeben am Kartentisch gestanden und sich mit Olgosch über den Fortgang der Grabearbeiten unterhalten. Es würde doch länger dauern, als Boromil gehofft hatte. Allerdings würde am Ende auch echt zwergische Wertarbeit stehen – fachmännisch ausgehoben und ohne Einsturzgefahr. Dieses Prädikat musste ihm den langsameren Fortgang schon wert sein.

Die Nachricht der Ankunft einer Magierin erzeugte bei Boromil gleich gute Laune. Es war noch Morgen und schon hatten die Wächter Rohals ihre Abmachung gehalten! Allerdings gemahnte er sich gleich darauf, sich nicht zu früh zu freuen: Ebenso könnte das bedeuten, dass sie am Ende als Gegenleistung für die Hilfe, die ohne jedes Zögern gekommen war, einen höheren Anteil an den Fundstücken verlangen würden. Barmherzige Anconiter waren das jedenfalls nicht, sondern ein Machtfaktor, der sich über viele Jahrhunderte gehalten hatte.

Als er auf den Weg zwischen den Ruinen trat, sah er gleich seine Schwester. Sie schien sich etwas verloren vorzukommen, zumal die anderen Siedler sich deutlich zurückhielten oder betont konzentriert ihrer jeweiligen Arbeit nachgingen. Nun, etwaige Vorurteile gegenüber Magiern würde er ihnen gleich austreiben! "Morena! Sei willkommen!" "Hallo Boromil", sagte seine Schwester leise. Offensichtlich war ihr die Situation unangenehm. Laut rief Boromil: "Begrüßt meine Schwester, die ehrenwerte Magierin Morena vom Kargen Land!" Nun gingen tatsächlich die Siedler einer nach dem anderen zu ihr. Als erstes kam die Rakulbruckerin. Sie hatte keine Scheu vor Fremden, sondern schien mit vielerlei Arten von Menschen klarzukommen. Das war auch nicht so abwegig, wenn man bedachte, dass sie in einem Wirtshaus gearbeitet hatte. Dann kam die neugierige Tsalva, dicht gefolgt vom kleinen Alrik, der bestimmt in seinem ganzen Leben noch keinem Magier so nahe gekommen war.

Boromils Rossknecht folgte dem Befehl seines Herrn ebenso wie Kascha, der Breikoch. Connar schrieb nicht nur einige Begrüßungsworte auf seine Tafel, sondern verzierte den Rand mt Blumen. Nun, in diesem Fall war das keine Verschwendung von Material. Nacheinander traten nun die restlichen Siedler heran, abgesehen von den Hirten und Bauern, die bereits unterwegs waren. Die Dunkelforsterin, sonst nicht so einfach zu erschüttern, schien ein wenig Angst vor Morena zu haben, wollte sich aber offenbar nicht vor den anderen die Blöße geben, als einzige Boromils Schwester nicht zu begrüßen. Einige der Zwerge hielten sich ebenfalls zunächst zurück. Erst als Olgosch lautstark "Auf gute Zusammenarbeit!" gerufen hatte, war der Bann gebrochen.

Boromil lud seine Schwester gleich in den Besprechungsraum ein, wo sie sich setzen könnte, und trug Tsalva auf, sie zu bewirten. Als Morena sah, dass die anderen Boromils Anweisungen ausführten, nickte sie beeindruckt. "Und die alle hören auf Dich? Nicht schlecht!" "Vergiss nicht, dass ich inzwischen belehnt bin! Da würde es ihnen schlecht ergehen, wenn sie sich demjenigen widersetzen, der für ihren zukünftigen Wohnort verantwortlich ist." Nun rief er Olgosch hinzu.

"Wie ist der Stand im Keller des Turmes?" "In dem halbverschütteten Raum können wir sofort anfangen, den müssen wir praktisch nur freischaufeln. Beim Tunnel wird es schon schwieriger, da müssen wir alle paar Schritt Stützen setzen." "Morena, was ist für Dich am einfachsten? Ist es besser, den Abraum zu untersuchen, oder das Erdreich, bevor sich die Angroschim da durch graben?" "Wenn Phex uns hold ist, sind die meisten Sachen immer noch in der Nähe der Regale oder in Geheimfächern. Ich schlage vor, zuerst die Kammer freizulegen. Wenn die Erde auf einem Haufen landet, kann ich alles auf einmal grob durchsuchen. Finde ich nichts, sind wir sofort mit dem Teil fertig." "Das klingt nicht schlecht", nickte Olgosch, "denn wenn Ihr zuerst die Erde aus der Kammer untersuchen wollt, können wir in der Zwischenzeit den erwähnten Tunnel wieder freilegen. Wenn Ihr danach die Regale inspizieren und nach Geheimfächern suchen wollt, haben wir genügend Zeit, um ein ganzes Tunnelstück soweit abzustützen." Und vor allem würden sich Magierin und Zwerge nicht so schnell in die Quere kommen, dachte sich Boromil.

Gesagt, getan: Die Angroschim beeilten sich, zuerst die teilweise verschüttete Kammer wieder ganz begehbar zu machen, und fanden dabei einen zweiten Ausgang in Form des besagtes Tunnels. Als sie soweit waren, konzentrierte sich Morena auf den Erdhaufen, den sie mühsam nach oben getragen hatten. Boromil hatte den Angbarer und die Rakulbruckerin, mit denen er gute Erfahrungen gemacht hatte, jeweils mit einem längeren Ast ausgerüstet, ebenso wie sich selbst. Falls Morena etwas fand, konnten sie sofort die Stellen im Aushub markieren und dann in aller Ruhe suchen. Plötzlich streckte sie den linken Arm aus und zeigte auf einen Punkt des Erdhaufens. "Ein Treffer, sehr schwach." Sofort steckte Boromil den Stock dorthin.

Die Bergung des Gegenstandes erwies sich als viel schwieriger als angenommen. Denn immer, wenn man einen Teil der lose aufgeschichteten Erde abgetragen hatte, rutschte von oben etwas nach. Am Ende standen Boromil, der Rakulbruckerin und dem Glockengießer der Schweiß auf der Stirn. Morena hatte sich nicht an der Arbeit beteiligt, sondern sich ausgeruht, um ihre Kräfte zu sparen, wie sie erklärt hatte. Vorsichtig griff Boromil nun mit beiden Händen in die Erde und zerkrümelte sie zwischen den Fingern, bis er schließlich ein massives Stück gefunden hatte, das locker in seine Handfläche passte. Er goss einen bereitgestellten Eimer Wasser darüber – und sah plötzlich vor sich einen Ring! "Ein schöner heller Stein, wunderschön gearbeitete Fassung... den solltet Ihr behalten!", flüsterte der Glockengießer Boromil zu. "Du kannst ruhig laut sprechen! Ich habe eine Abmachung mit den Wächtern Rohals und nicht vor, meiner Schwester etwas zu verheimlichen!" Der Angbarer entschuldigte sich auf der Stelle bei Morena und wiederholte seine Einschätzung, dass es sich um ein besonders gelungenes Exemplar Juwelierskunst handele. "Das Aussehen interessiert mich erst einmal nicht.", widersprach Morena. "Wichtiger ist, welche Kraft dem Ring innewohnt! Manche werden verwendet, um Zauber darin zu speichern. Einen solchen Ring würde ich sofort im Namen meines Ordens einfordern!" Boromil war etwas überrascht ob ihrer harschen Worte, reichte ihr aber den Ring, da sie ihn unverzüglich untersuchen wollte.

Erneut konzentrierte sich die Magierin. Diesmal fiel ihr das Zaubern offenbar schwerer. Am Ende rief sie enttäuscht: "Heiliger Argelion, alles umsonst!" "Was ist los? Hast Du es nicht geschafft, die Art der Magie zu bestimmen, die dem Ring innehwohnt?" "Doch, das ist es ja gerade! Pass mal auf..." Sie steckte den Ring an den Finger und drehte ihn um. Sofort erklang deutlich eine kurze Tonfolge. Boromils Untergebene waren starr vor Schreck, als sie sahen, wie seine Schwester scheinbar einen Zauberring gegen ihn verwendete. Doch nichts geschah. Schließlich fragte Boromil: "Und, war's das?" "Ja!", rief Morena wütend. "Das ist es ja, was ich meinte. Die einzige Magie dieses Ringes besteht darin, diese kurze Melodie abzuspielen." "Klingt doch schön." "Aber das ist doch eines Magiers unwürdig! So etwas benutzen Schelme und Scharlatane, um sich wichtig zu machen." "Na, dann hast Du sicher nichts dagegen, wenn ich den Ring an mich nehme." "Bitte, nimm ihn nur!" Kurz darauf murmelte Morena mehr zu sich selbst: "Und für solchen Kleinkram verschwendet man seine wertvolle Kraft!"

Nun trat Olgosch hinzu. "Herr, der Keller ist ja soweit freigeräumt. Wir sind mit dem Anfang des Tunnels beschäftigt, doch Dugobalosch besteht darauf, die Wände zu untersuchen, bevor Eure Schwester zur Tat schreitet." "Das sehe ich mir mal an... Schwester, ruhe Dich ein wenig aus, ich sage Dir Bescheid, sobald Du im Keller weitermachen kannst!" Gemeinsam stiegen Olgosch und er die Treppe hinab. Es herrschte immer noch ein feuchter, leicht modriger Geruch, doch den Gang konnte man trockenen Fußes betreten. Als sie die Kammer betraten, sah Boromil, wie Dugobalosch auf sie wartete, während die anderen mit dem Tunnel beschäftigt waren. "Ah, da seid Ihr ja! Ich sage es nochmal: Geheimfächer findet ein Angroscho besser als ein Menschenmagier mit seinen Sprüchen! Lasst es mich versuchen und Ihr werdet schon sehen." "Also bitte", wies Boromil auf die nächstgelegene Wand. "Ich bin gespannt." Das ließ sich Dugobalosch nicht zweimal sagen. Er begann mit der Wand, in der der Durchgang zum Gang war. Vorsichtig begutachtete er so manche Stelle, an der Boromil nie im Leben etwas aufgefallen wäre. An ein, zwei Punkten klopfte Dugobalosch, setzte aber kurz darauf seine Arbeit fort. Schließlich stellte er im Brustton der Überzeugung fest: "Diese Wand ist vollkommen massiv. Da ist nichts dahinter!" "Faszinierend. Meint Ihr denn nicht, dass wir das erheblich abkürzen könnten mit der Hilfe meiner Schwester?" "Abkürzen, pah! Keinen Respekt vor rechtschaffener Handwerkskunst. Immer muss alles schnell gehen, wo man ein gutes Werk doch gründlich erledigen muss. Herr Ritter, macht es Euch doch oben bei Tageslicht etwas gemütlich, wenn Ihr hier nicht warten wollt! Ich verspreche Euch, alle vier Wände genau zu untersuchen." "Also gut.", beendete Boromil die Diskussion, bevor sie überhaupt richtig losgegangen war. Innerlich war er verärgert über den vorlauten Zwerg, den er für einen Wichtigtuer hielt. Am Ende würde Morena ja doch alle Wände analysieren müssen!

Die Magierin hatte sich in dem Raum, den Boromil für Besprechungen nutzte, an den Tisch gesetzt. "Sieht so aus, als wollten die Angroschim eine Weile allein weitermachen. Einer von ihnen behauptet, selbst nach Geheimfächern suchen zu können." "Soll mir nur recht sein, dann spare ich meine Kräfte! Die Ausbeute bisher war ja sehr gering; daher glaube ich nicht, dass wir da noch viel finden werden." "Trotzdem wäre mir lieber, wenn wir auf Nummer Sicher gehen und Du die Wände noch einmal nach Magie durchsuchst." "Großflächig nach Magie zu suchen, ohne zu wissen, wo sie genau ist, ist Verschwendung von magischer Kraft! Warum bist Du denn so versessen darauf, jeden noch so kleinen magischen Gegenstand in dem Keller zu finden?" "Weil wir gegen Vorurteile und Aberglauben kämpfen müssen!", gab Boromil etwas gereizt zurück. "Überlege doch mal: Ein alter Turm, der Zulipan von Punin gehört haben soll; ein neuer Besitzer, der aus einer Magierfamilie kommt, dessen Oberhaupt als etwas unheimlich gilt... wenn man da nicht gegensteuert, entstehen sofort die wildesten Gerüchte! Und das ist Gift für ein Unternehmen wie die Moorbrücker Neusiedlung. Wer wird sich bei mir niederlassen wollen, wenn alle Ort und Herrn fürchten? Der Sumpf alleine ist schon ungemütlich genug. Darum muss diesem Hörensagen die Basis entzogen werden. Ich will den Grund für das Gerede mit Stumpf und Stiel ausrotten!" Morena war sehr ruhig geworden während Boromils Ausbruch. Nun fragte sie vorsichtig zurück: "Also darum das Einschalten der Wächter Rohals? Weil man ohne Magie Magie nicht erkennt und Weißmagier in der einfachen Bevölkerung noch den besten Ruf haben? Du hättest die Funde ansonsten ja einfach selbst behalten können..." "Ach was!", winkte Boromil ab. "Früher oder später wäre doch sowieso herausgekommen, wenn wir hier etwas gefunden hätten! Das war doch schon nach unserem Fund bei der Besichtigung zu vermuten. Ihr Magier hättet keine Ruhe gegeben und zur Not höhere Autoritäten eingeschaltet, um alles zu untersuchen. Dann lieber so, habe ich mir gedacht, dann dient das wenigstens auch meiner Sache." Jetzt schlug er einen etwas versöhnlicheren Tonfall an. "Es wäre doch Unsinn, sich mit den Wächtern Rohals zu streiten. Was hätte ich davon? Einen eindrucksvollen Beweis, dass ich gegen drei Magier ankomme? Was nützt mir das hier im Sumpf?" "Deswegen hast Du nicht Halmar gebeten, obwohl er der Hellsichtsmagier in unserer Familie ist?" "Mich interessiert Euer privater Zweikampf, wer der bessere Magier ist, herzlich wenig. Halmar mag das richtige Spezialgebiet haben, aber er ist oft unterwegs. Ich werde vielleicht von Zeit zu Zeit magische Unterstützung gebrauchen können, da ist es mir lieber, wenn ich ein gutes Verhältnis zu den Bewohnern von Eisenkobers Wacht habe." "Wir sind aber keine magische Brandbekämpfung, die ausrückt, wenn man sie ruft." "Das nicht. Aber vielleicht werdet Ihr Euch daran erinnern, wer Euch den Zugriff auf Turm und Keller ermöglicht hat und wem Ihr es zu verdanken habt, dass Ihr eventuell einige magische Artefakte sichern konntet. Wenn es gut läuft, erscheint das sogar als Erfolgsmeldung im Kosch-Kurier!" "Das ist allerdings richtig. Ich meine nur, wir sollten..."

In dem Moment erschallten laute Rufe der Zwerge. Noch war nichts zu verstehen, doch bald kam einer von ihnen aus dem Keller und zu den beiden vom Kargen Land gelaufen. Es war Duglim, Sohn des Dergam. "Herr, wir haben etwas gefunden!", keuchte er atemlos. Sofort sprangen Boromil und Morena auf und folgten ihm zurück in den Keller. Dort rief Dugobalosch triumphierend: "Ich habe es doch gewusst! Ich habe es ja gleich gesagt!" Er wies auf eine Stelle in der Wand, die für einen Zwerg etwa auf Augenhöhe war. Dort hatte er inzwischen einen rechteckigen Spalt freigemacht, den Stein jedoch noch nicht entfernt. "Alle Achtung," nickte Boromil, "Da habt Ihr nicht zuviel versprochen, Dugobalosch. Dann wollen wir unseren Mechaniker mal einen Blick darauf werfen lassen." "Na also, das nenne ich mal einen vernünftigen Vorschlag von einem Großling! Wenn man keine Ahnung von Fallen hat, sollte man jemanden fragen, der sich mit ihren Mechanismen auskennt!"

Denderan, Sohn des Dragoran, inspizierte das Wandstück sehr lange. Dann ließ er sich von einem der Zwerge, der ihm assistierte, verschiedene kleine Werkzeuge anreichen, die für Boromil alle gleich aussahen. "Alle von der Wand weg!", warnte er. "Am besten sogar alle aus dem Raum raus." Dieser Aufforderung kamen alle nach. Dennoch beobachteten sie dichtgedrängt aus dem Gang heraus, wie den Mechaniker unheimlich langsam und vorsichtig sein Werkzeug einsetzte. Die Situation kam Boromil etwas unwirklich vor: Inmitten einer Gruppe Zwerge und mit einer Magierin suchte er Schätze in einem alten Keller. Fast könnte man ihn für einen Abenteurer halten.

Der Schweiß lief Denderan nun die Stirn herunter. Duglim, der als einziger bei ihm geblieben war, wischte ihm mit einem Tuch übers Gesicht, damit Denderans Augen sich auf die schwierige Arbeit konzentrieren konnten. Nun spannte er beide Arme an. Plötzlich gab es ein Knacken und Scharren, danach atmete er hörbar aus. "Ihr könnt reinkommen!" Nun hob er den Stein aus der Wand. Dieser erwies sich als wesentlich flacher, als man vermutet hätte. Dahinter befanden sich einige spitze kurze Stäbe. "Eine Bolzenfalle", erklärte der Sohn des Dragoran. "Ob sie nach all der Zeit noch funktioniert hätte, vermag ich nicht zu sagen. Es sind jedoch auffällig wenige metallische Bestandteile enthalten. Und wenn hier wirklich ein Magier gewohnt hat, könnte er die magisch behandelt haben gegen möglichen Verfall." Nun starrte er in die entstandene Öffnung. "Da liegt etwas drin, allerdings ein ganzes Stück entfernt." Der Sohn des Dergam erklärte sich bereit, hineinzulangen. Er musste seinen Arm fast bis zur Schulter hineinstecken, dann zog er ihn vorsichtig heraus. Es waren zwei Behälter aus Koschbasalt, deren Deckel aufwändig verziert waren. Einer zeigte einen roten Hering, der andere einen Troll auf einer Brücke. Waren das Spottwappen des magieaffinen Hauses Salmingen und der Baronie Rohalssteg, in der die Wächter Rohals zur Zeiten der Magierkriege wirkten? Hatte ein finsterer Zauberer seine verhassten Rivalen verhöhnen wollen?

Der Zwerg hatte Boromil geduldig die beiden Behälter hingehalten, damit dieser sie genauer betrachten konnte. Als der Ritter vom Kargen Land sie nun entgegennahm, rief plötzlich seine Schwester: “Warte, Boromil, das könnte eine Falle sein!” Verdutzt drehte er sich zu Morena um. “Inwiefern? Was meinst Du?” “Kosch-Basalt ist gegen Magie unempfindlich. Die Deckel zeigen Motive, die einen anständigen Magier offenbar wütend und unvorsichtig machen sollen. In den Behältern könnte ein bösartiger Zauber oder eine explosive Mischung alchimistischer Natur enthalten sein, die dem ahnungslosen Öffnenden gehörig um die Ohren fliegen soll! Aus diesem Grunde fordere ich sie als Studienobjekte für die Wächter Rohals ein! Mein Orden hat die besten Mittel, um sie zu untersuchen und sicher zu verwahren!” “Na gut”, räumte Boromil ein und übergab die Behälter in die Obhut der Magierin. Könnte die Schatulle, die er mit den anderen Neusiedlern beim ersten Besuch der Kammer gefunden hatte, nur eine vordergründige Ablenkung gewesen sein? Nun sponnen auch die Zwerge denselben Gedanken weiter. “Aber wer wird eine Falle so gut sichern, wenn es nichts weiter zu holen gibt?” “Ja, das ist doch Unsinn!” “Also muss noch mehr verborgen sein!” “Aber nicht hier!”, beschloss Dugobalosch. “Schließlich habe ich hier alles abgesucht und nichts weiter gefunden.” “Und das Geheimfach ist ansonsten leer”, stimmte Duglim zu. “Ihr könnt ja gerne mit einer Fackel noch einmal reinleuchten.” “Vielleicht sind die Töppe aus Kosch-Basalt die eigentlichen Wertgegenstände.”, schaltete sich der Glockengießer in die Diskussion ein. “Ich meine, das Material ist kostbar und wird doch kaum für irgendwelchen Krempel vergeudet.” “Das ergibt tatsächlich Sinn”, nickte Olgosch nachdenklich, “so etwas bekommt man nicht auf jedem Markt einer Zwergensiedlung. Dafür wird der Besitzer tief in die Tasche gelangt haben müssen.” “Wenn ich an den Tunnel erinnern dürfte...”, versuchte Boromil die Angroschim wieder zu ihrer Arbeit zu bewegen. “Schichtet den Aushub am besten auf einem neuen Hügel auf.”, bat Morena. “Ich werde zuerst zu Eisenkobers Wacht zurückkehren und diese beiden Funde abliefern!” Nun, dachte ihr Bruder, dann hatte sie es tatsächlich ernst gemeint. Wer ging schon einfach so durch den Sumpf, selbst an helllichtem Tage?

Die Untersuchung des Tunnels fiel denn tatsächlich anders aus als die der Kammer. In der Erde fanden sich einige Kleinigkeiten, deren Häufigkeit sich mit dem Fortschritt der Arbeit erhöhte. Zunächst waren es noch Spielereien wie eine töpferne Dose, in die man Tabak oder Gebäck aufbewahren konnte und die mit einem magischen Silberglanz verziert, nun aber zerbrochen war. Die Scherben überließ Boromol nur zu gerne dem Orden. Dann war da ein unscheinbar anmutendes Tintenfass, das nach einigen Tests erstaunliche Eigenschaften zeigte. So wurde es nicht nur nicht leer; man konnte wohl in verschiedenen Farben schreiben. Schließlich förderten die Zwerge einen Kamm ans Tageslicht, auf dem ein Zauber ruhte, mit dem das Haar gefärbt werden oder besonders anmutig erscheinen konnte. Beides behielt Boromil für sich, denn die Fundstücke mit dem höheren Materialwert hatte er bereits Morena gegeben. Das vorerst letzte magische Utensil war eine Pfeife, mit der man ohne großes Können allerlei lustige Formen in die Luft pusten konnte. Die beiden Söhne Korboschs überboten sich bei einem Testrauchen darin, immer kompliziertere Schemen zu erzeugen. Der kleine Alrik und Tsalva applaudierten bei der Vorführung unter freiem Himmel. Boromil wollte sie schelten, weil sie eine Pause bei der Arbeit machten, doch dann befand er, dass es nicht schlecht sei, wenn seine Siedler die angenehmen und harmlosen Seiten der Magie zu schätzen lernten.

Die Ambosszwerge hatten inzwischen gut zwanzig Schritt des Tunnels freigelegt, doch ihr Arbeitstempo war immer langsamer geworden. Schließlich trat der Sohn des Ogrim zu Boromil: “Herr, der Boden wird umso weicher, je weiter wir kommen. Was wir bisher mit neuen Stützen versehen haben, auf dessen Stabilität bürgen wir mit unserer Ehre als Angroschim und Tunnelbauer, aber für ein weiteres Graben können wir nicht guten Gewissens eintreten.” Boromil überlegte. Es war letzten Endes Wunschdenken gewesen, den gesamten unterirdischen Weg auszugraben bis zu der versunkenen Kapelle, die Hardger Kusi von Mönchbach erwähnt hatte und die dessen Schilderungen zufolge ebenfalls versunken war. Jegliche Geheimnisse, die sie betrafen, würden also weiterhin im Sumpf schlummern. Das könnte natürlich immer noch irgendwelche Galgenvögel anlocken, die hier ihr Glück suchten. Aber an seinem Siedlungsort selbst hatte er ganze Arbeit geleistet. Je offener man die unwichtigen Fundstücke präsentierte, gemeinsam mit dem Fachurteil der Zwerge, nicht weiter graben zu können, desto weniger Hoffnungen würden sich zwielichtige Gestalten machen, selbst noch etwas zu finden. Und im Gegensatz zu den früheren Siedlern hatte er eine ganze Schar von Kämpfern zur Verfügung, die diesen Ort verteidigen würden. In der Not könnten sogar die Wächter Rohals eingreifen, und beide – Zwerge wie Magier – würden unerlaubtes Graben nach magischen Gegenständen nicht dulden. Mit diesen Gedanken nickte er schließlich abschließend Olgosch zu. “Ich traue Eurem Urteil. Holt Euch alle noch einen ordentlichen Krug Bier zum Abschluss der Arbeiten an dem Tunnel. Morgen macht Ihr dann mit den gewöhnlichen Kellern weiter.”

In seiner Annahme, die Suche nach magischen Gegenständen sei damit abgeschlossen, fand sich Boromil getäuscht. Ausgerechnet seine Schwester, die erst nur zögernd die Erde hatte untersuchen wollen, bestand auf einer letzten Überprüfung, die er so nicht vorgesehen hatte. “Wir haben in dem eingestürzten Tunnel mehr gefunden als in der Kammer an sich. Also sollte ich zumindest die ersten Schritte Erde untersuchen, die nicht weiter angetastet würden, wenn es allein nach den Zwergen ginge. Wenn da nichts mehr drin ist, haben wir tatsächlich unsere Ruhe.” Boromil zog die Augenbrauen hoch. Das könnte genau zu dem Konflikt führen, den er hatte verhindern wollen! In der Tat waren die Zwerge alles andere als begeistert bei der Vorstellung, einen unsicheren Tunnelabschnitt ausgraben zu müssen. “Lasst uns erst einmal sehen, ob sich überhaupt darin etwas verbirgt. Vielleicht erledigt sich damit bereits jede weitere Diskussion.”, beschwichtigte Boromil.

Doch es sollte anders kommen. Morena konnte etwa fünf Schritt weit in den verschüttet gebliebenen Teil des Ganges blicken. Zunächst sah sie mit ihren Fähigkeiten nichts weiter, doch dann fiel ihr etwas auf. “Das ist merkwürdig, es gibt etwa zwei Spann von hier eine Lücke in dem Bild, das der Spruch erzeugt. Fast als ob... nun, lasst es uns freilegen!” “Das ist nicht länger Teil der Abmachung. Euer Bruder hat unsere Arbeit hier bereits für beendet erklärt.”, widersetzte sich Dugobalosch der Aufforderung. “Nun, wenn Ihr das so seht: Zur Not grabe ich dieses kleine Stück mit meinen eigenen Händen weiter. Der Preis, der dafür winkt, scheint mir den Aufwand zu lohnen!” “Nein, lasst das besser uns Angroschim übernehmen. Nachher werdet Ihr noch verschüttet und man schiebt uns die Schuld zu, weil wir Euch nicht geholfen haben.”, nahm sich Dugobalosch nun zurück, auch wenn er es in einem mürrisch-resignierenden Tonfall ausdrückte. Doch die Vorstellung, dass die Magierin auch vor solcher groben körperlichen Arbeit nicht zurückschreckte, schien sein Interesse geweckt und ihm deutlich gemacht zu haben, das hier mitunter noch etwas Besonderes seiner Entdeckung harrte.

Zusammen mit Olgosch löste er an der Stelle die Erde hinaus, auf die Morena gewiesen hatte. Dort fanden sie jedoch nur ein altes Stück moosüberwucherten Baumstamms. “Seltsam”, merkte der Sohn des Ogrim an, “müsste so etwas nicht längst unter der Erde verrottet sein?” “Gut beobachtet!”, lobte Morena, “legt es auf den Boden!” Sie wirkte nun einen Zauber, den sie bisher nicht eingesetzt hatte: Den zum Beenden magischer Illusionen, welchen sie von Haus aus kannte. Beim ersten Mal tat sich nichts und die Angroschim blickten sich bereits zweifelnd an, doch dann zauberte sie erneut. Der Baumstamm begann langsam zu flackern und machte dann einem anderen Bild Platz: Dem eines silbern schimmernden Hammers. Die Zwerge weiteten die Augen vor Erstaunen. “Es war ein alter und mächtiger Illusionszauber”, erklärte Morena, “es brauchte eine Menge Energie, um ihn aufzuheben. Wahrscheinlich hatte ich noch Glück und nach all den Jahren war ein Großteil seiner Kraft verbraucht.”

Ehrfürchtig streichelte Dugobalosch über den Hammer. Olgosch blickte ihn fragend an, während die anderen keinen Laut zu sprechen wagten vor Verzückung. Schließlich wandte der Sohn des Dramosch den Blick zu seinem Anführer und nickte ihm nur kurz bestätigend zu. “Dieser Hammer ist zwergischer Machart”, begann dieser vorsichtig. “Woher er kommt und woraus er gemacht ist, werden die Wächter Rohals sicher noch genauer in Erfahrung bringen können.”, unterbrach ihn Morena. “Ein so aufwendig gesichertes Artefakt muss von uns gesichert werden.” “Nein, Herr, bitte!”, fuhr nun Dugobalosch dazwischen. Fast flehentliche wandte er sich an Boromil. “Lasst nicht zu, dass der Hammer den Magiern in die Hände fällt. Die werden ihn doch nie wieder herausgeben!” „Was ist so Besonderes an dem Hammer, dass ihn ein Magier versteckt? Ist er eine magische Waffe?” “Waffe?”, rief Dugobalosch entsetzt. “Das ist ein Werkzeug, wenn man so etwas überhaupt einsetzt.” “Habt Ihr noch nie von den zwergischen Meisterwerken gehört?”, schaltete sich nun der Sohn des Dergam ein. “Gelegentlich gelingen besonders gute Stücke, und die hebt manche Sippe auf, auch wenn sie nicht weiter berühmt werden. Hier scheint sogar Magie eingearbeitet worden zu sein, selbst wenn sie sich vielleicht auf das Blinken beschränkt.” “Ob das der Fall ist, sollten wir eben gerade genauer untersuchen!”, sprach nun wieder Morena. “Diese Werke sind ein Ausdruck zwergischer Handwerkskunst und für uns Angroschim daher wertvoller, als sie es einem menschlichen Krämer je sein könnten.”, ergänzte der Sohn den Dragoran. “In den Zeiten, als der finstere Zulipan so viele von uns quälte und tötete, fielen auch einige dieser Werke in falsche Hände. Der verfluchte Magier mag sie weiterverkauft oder seiner eigenen Sammlung hinzugefügt haben. Wenn dieser Hammer jedoch nun wieder unter zwergische Aufsicht kommt, wäre das ein später Triumph über ihn.” Boromil hatte verstanden. Wenn er den Hammer den Zwergen zugestand, mochte das die Beziehungen zu den Wächtern Rohals belasten. Gab er ihn den Magiern, würde er die Zwerge mit Sicherheit verärgern. “Also gut, dann sei es folgendermaßen entschieden: Der Hammer kommt in den Schutz der Angroschim von Neuvaloor. Diese dürfen ihn nach Rücksprache mit mir anderen zwergischen Autoritäten übergeben. Allerdings bleibt meiner Schwester das Recht, den Hammer auf seine magische Natur zu analysieren – entweder jetzt oder zu einem späteren Zeitpunkt!” Als sie das gehört hatten, brachen die Angroschim in lautes Jubelschreien aus. Sie riefen den Segen Angroschs auf Boromil und seine Siedlung herab, während Morena ihm still zunickte. “In Ordnung, Bruder”, sagte sie schließlich, “obwohl der Hammer keine Waffe ist, erkenne ich an, dass wir Magier ihn nicht sinnvoll einsetzen können, sofern ihm nicht ein entsprechender Zauber innewohnt. Meine Energie ist weitreichend aufgebraucht, doch ich will noch eine Analyse versuchen, bevor ich Richtung Eisenkobers Wacht aufbreche.” Danach kniete sie nieder und konzentrierte sich tief und fest auf den Hammer. Nach einer Weile stand sie auf und stellte fast erleichtert fest: “Es ist, wie die Angroschim zurecht gesagt haben, offenbar nicht gedacht, diesen Hammer als Waffe zu verwenden. Jedenfalls kann ich keinen Zauber erkennen, wie er bei magischen Waffen üblicherweise angewandt wird. Die genaue Natur der Magie kann ich jedoch nicht erkennen, was ebenso an den Grenzen meiner Kräfte liegen mag, die ich nun erreicht habe, wie auch an der anders gearteten Magie der Angroschim, über die wir längst nicht alles gelernt haben.” Hierbei machten die Zwerge zufriedene Gesichter; insbesondere Dugobalosch nickte heftig. “Sollte darüber hinaus der Hammer nicht für den tatsächlichen Gebrauch als Werkzeug bestimmt sein, spricht vieles dafür, dass die Magie keine – zumindest für Menschen – praktische Funktion hat. Unter diesen Umständen gibt es keinen Grund, die Allgemeinheit vor diesem Hammer zu schützen, zumal ich berechtigten Anlass habe, zu glauben, dass die jetzigen Besitzer ihn gut verteidigen werden. Ich werde meinem Orden natürlich über jedes Fundstück Bericht erstatten und es mag sein, dass er eine Nachuntersuchung für angemessen hält. In diesem Fall halte ich mich bereit, um das persönlich zu übernehmen. Ich denke, damit würde auch dem Anspruch der hier versammelten Ambosszwerge Genüge getan, den Hammer nicht aus der Hand zu geben.” Die Zwerge nickten befriedigt. “Das nenne ich wahr gesprochen”, sagte Olgosch. “Ihr habt mein Wort, dass Ihr persönlich den Hammer untersuchen dürft.” “Zum Ausgleich gebe ich Dir noch das Tintenfass mit”, schloss Boromil. “Damit haben die Wächter Rohals einen Großteil der Funde bekommen, so wie es abgemacht war.”

Als Morena wieder den Turm verlassen hatte, verabschiedete sie sich von den Siedlern. Boromil begleitete seine Schwester zum Rand der Siedlung. Bis zur Dunkelheit würde sie es wieder zurück schaffen. Ihre mehrtägige Mission kam damit zu einem Abschluss. “Eine Sache noch”, sagte Boromil und griff in seine Tasche, aus der er den magischen Kamm hervorzog. “Ich habe gesehen, dass er Dir besonders gefallen hat. Du hast Dich sehr gefreut, als Du seinen Zauber erkannt hast. Nimm ihn als persönliches Geschenk. Er wird Dir mehr nützen als mir, schließlich hast Du lange Haare und ich nicht!” Morena war einen Moment verblüfft. Dann umarmte sie ihren Bruder herzlich. “Danke, Boromil!”

Er sah ihr noch eine Weile nach. Diesmal hatte er es geschafft, die verschiedenen Interessen ausgleichen zu können. Doch würde ihm das erneut gelingen? Nachdenklich drehte er einige Male an seinem Zauberring, an dessen Melodie er sich bereits gewöhnte.