Graf Orsinos langer Schatten - Im sicheren Schoße der Familie

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Mistelstein, Mitte Boron 1041

Boronar vom Kargen Land staunte nicht schlecht, als ein einzelner Reisender in Mistelstein erschien und bei ihm vorstellig wurde. Der Mann namens Moribert Siebenschröter bat für einige Tage um Unterkunft. Hätte der Söldner nicht den Wappenrock des Hauses Alrichsbaum getragen, hätte Boronar ihn auf den ersten Blick für einen Räuber gehalten, der den Holzfällerort auskundschaften wollte. Tatsächlich jedoch eröffnete der unerwartete Gast, er käme im Auftrag Eberhelms von Treublatt. Diesem sei die untreue Gattin mitsamt Bastardsohn in den Baduarforst weggelaufen, als er sie festsetzen wollte, und nun habe er Soldvolk ausgeschickt für den Fall, dass sie in den benachbarten Siedlungen wieder aus dem Wald auftauchen würden.

Boronar kam die Geschichte merkwürdig vor. Er beschloss, mit seiner Frau Rondralieb den Nachbarn in Beilklamm einen Besuch abzustatten, um mehr herauszufinden. Den Söldner ließ er derweil in Mistelstein zurück – seine Dorfschulzin Anghild Hackler würde ein wachsames Auge auf dem Kerl haben, und dieser wäre schön dumm, wenn er sich alleine mit den Holzfällern und Zwergen anlegen würde. Die Vögtin Muroscha Apfelbach sah die Sache ganz praktisch: Da man zu dieser Jahreszeit ohnehin am besten im Haus bliebe und man sich die Wartezeit irgendwie vertreiben müsse, könne man am besten gleich den Schnaps auspacken. Welche Söldnerseele würde dazu nein sagen? So ganz nebenbei hatte die Hügelzwergin damit eine Methode gefunden, Moribert Siebenschröter in Schach zu halten...

Gut Beilklamm, Mitte Boron 1041

In Beilklamm bestätigte man Boronar und Rondralieb, was sie vom Söldner gehört hatten. Eberhelm wirkte auf Boronar unruhig, aber beherrscht. Seine Tochter Govena hingegen war geradezu kleinlaut und ängstlich. Sie schien nicht recht zu wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Als sie wieder davonritten, wies Rondralieb ihren Mann darauf hin, dass der Treublatter für die geplante Festnahme und anschließende Gefangeneneskorte recht viele Leute angeheuert habe, die zudem erstaunlich gut bewaffnet seien. Das gefiel Boronar ebenfalls nicht. Sie beschlossen, sich aufzuteilen: Rondralieb würde weiter nach :Sindelsaum reiten, um dem Baron von den Vorkommnissen zu berichten, während ihr Mann den längeren Weg gen Norden zu den Entenstegs antreten würde, um den Nachbarn die traurige Nachricht vom Verschwinden ihrer Verwandten zu überbringen.

Eberhelms Kundschafter berichteten ihm bald von den beiden getrennt reisenden Rittern. Es passte ihm zwar gar nicht, dass der Sindelsaumer so schnell im Bilde sein und womöglich weitere Nachfragen anstellen würde, doch er sah keine Möglichkeit, sie abzufangen. Ferk von Alrichsbaum meinte außerdem, dass das doch ganz in seinem Sinne sei: So würde sich so schnell wie möglich seine Version der Geschichte verbreiten. Es wäre ja umgekehrt merkwürdig, in der jetzigen Lage mit der Situation hinter dem Berg zu halten…

Dies munterte Eberhelm auf. In dieser Stimmung schickte er sogar einen offiziellen Boten zum Haus Entensteg, um die Nachricht vom Verschwinden seiner Gattin zu überbringen und gleichzeitig ihre Herausgabe zu fordern, sollte sie aus dem Forst wieder auftauchen.

:Entensteg, Mitte Boron 1041

Junkerin Furgund war empört darüber, was sich dieser Edle ihr gegenüber herausnahm, doch hörte sie auf den Ratschlag ihres besonnenen Gatten Birgon und sah davon ab, eine aus ihrer Sicht angemessene Antwort zu schicken. Stattdessen beschränkte sich sich auf einige Floskeln und schlichte Grüße und ließ nach dem Abzug des Boten vorsorglich einige Wachen am Rande des Baduarforstes aufstellen, die die Verschwundenen sicher zur Burg geleiten würden, falls sie den Weg aus dem Wald heraus schaffen würden.

Ihr Nachbar Boronar vom Kargen Land hatte die Entenstegerin bereits zuvor über die Geschehnisse informiert und dabei nicht nur den einzelnen Söldner erwähnt, der bei ihm auf ihre Verwandten wartete. Angesichts der Anzahl der Söldlinge, die er in Beilklamm gesehen hatte, lag die Vermutung nahe, dass noch weitere von ihnen in der Umgebung auf der Lauer lagen.

Durch diese weise Voraussicht gelang es Bolzer und Anghild tatsächlich, drei Tage nach ihrer Flucht Burg Entensteg zu erreichen, ohne von Eberhelms Häschern abgepasst zu werden. Die Junkerin und ihr Gemahl waren entsetzt, in was für einem erbarmungswürdigen Zustand die zwei waren. Sie hatten stets nur wenige Stunden geschlafen, kaum etwas zu essen oder zu trinken gehabt und Anghilds Wunde nur äußerst notdürftig versorgen können.

Während sich die zwei abgerissenen Gestalten an Speis und Trank labten, ausgiebig wuschen und hinterher mehr tot als lebendig auf ihre Schlafstatt fielen, ließ Furgund die Heilerin aus dem nahen Heimthal herbeischaffen. Mora Lindgrün kümmerte sich fachmännisch um die Bolzenspitze in Anghilds Seite und verordnete ihr danach einige Tage strenge Bettruhe, denn die Strapazen hatten ihr zusammen mit der Verwundung deutlich mehr zugesetzt als Bolzer.

Insbesondere Birgon hätte die Heilern gerne noch einige Zeit länger auf Burg Entensteg zu Gast gehabt, um so gut wie möglich für Anghilds Genesung zu sorgen, aber auch er sah ein, dass sie jederzeit in Heimthal benötigt werden konnte. Kurz überlegten die Entenstegs, wie wohl der dort eingekehrte Söldner der Alrichsbaums reagieren würde, von dem sie bereits von Boronar vom Kargen Land erfahren hatten. Aber was hätte dieser groß davon zu gewinnen, wenn er Mora Lindgrün ausfragen oder gar bedrohen würde? Auf die Burg käme er so oder so nicht und er konnte sich bereits jetzt seinen Teil denken, von Eberhelms heimlichen Spähern mal ganz abgesehen, die ohnehin Bescheid wussten, dass Anghild und Bolzer auf der Burg waren.

Anghild machte sich derweil Vorwürfe. Sie hätte handeln müssen, als ihr klar geworden war, dass Eberhelm Bolzers Herkunft durchschaut hatte. Stattdessen hatte sie gehofft, dass sich der Staub schon bald legen würde, schließlich hatte Eberhelm immer sehr an seinem Sohn gehangen. Mehrmals verlangte sie danach, mit Bolzer zu sprechen, doch wurde sie immer wieder ermahnt, sich zu schonen. Tatsächlich fühlte sie sich unheimlich schwach, doch nicht nur von den körperlichen Strapazen. Im fiebrigen Dämmerzustand zwischen wach und schlafend wurde sie von ihren Schuldgefühlen gemartert...

Bolzer erholte sich deutlich rascher als seine Mutter. Während diese ein paar Tage später noch auf ihrem Krankenlager ruhte, berichtete er seinen Verwandten, wie es ihnen im Wald ergangen war. Schon nach kurzer Zeit hatten sie ihre Pferde fortgejagt, um die Verfolger auf eine falsche Fährte zu locken, und sich tief in den Baduarforst hinein geschlagen. Entensteg war normalerweise kaum eine Tagesreise entfernt, doch hatten sie sich mühevoll durch das Unterholz kämpfen müssen. Glücklicherweise hatte es trotz der Jahreszeit noch nicht geschneit, denn im Schnee wären ihre Spuren leicht zu verfolgen gewesen. Sie waren etwa gleich weit von Sindelsaum und Entensteg gewesen und hatten sich entscheiden müssen, ob sie bei ihrem Baron oder ihren Verwandten Zuflucht suchen sollten. Letztlich hatten sie sich für Entensteg entschieden. Das lag vor allem daran, dass Anghild befürchtete, dass Eberhelms Leute nach ihnen Ausschau halten würden und sie sich im Entensteger Umland noch aus ihren Jugendtagen bestens auskannte. Bolzer seinerseits war in Weiden ausgebildet wurden und kannte sich mit harten Wintern aus, da war das jetzige Wetter ja noch harmlos.

Was ihm hingegen zu schaffen machte, war der unerklärliche Stimmungswandel seines Vaters und Eberhelms Beschuldigung gegenüber Anghild, ihm einen Bastard angehängt zu haben. Furgund und Birgon waren alt genug, um sich an Orsino von Falkenhag in dessen jungen Jahren zu erinnern, und sprachen unumwunden aus, dass Bolzer ihm verblüffend ähnlich sehe. Doch was spiele das jetzt für eine Rolle? Selbst wenn es wahr wäre, hätten sie es hier mit einem Mordversuch zu tun! Der ansonsten so ruhige Birgon hatte Mühe, an sich zu halten angesichts dieses Traviafrevels, das eigene Eheweib vom Heim und Herd in den Tod jagen zu wollen.

Furgund erzählte Bolzer, dass es der frühere Graf vom Angbarer See so manches Mal bunt getrieben habe und infolgedessen eine ganze Reihe Bastarde bekannt seien – mehrere sogar anerkannt! Die Ehe Eberhelms und Anghilds sei nie so ganz glücklich gewesen, Eberhelm für seine Eifersucht und sein Misstrauen bekannt, da sei die Überraschung über Bolzers Aussehen nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Immerhin hätte sich Eberhelm direkt mit Anghild aussprechen oder einen Geweihten um Rat fragen können. Stattdessen dieser wohlvorbereitete Angriff gegen alle Regeln der ritterlichen Ehre. Der Mann war offensichtlich von Sinnen!

Bolzer war aufgewühlt, aber zu jung und zu trotzig, um nicht schon daran zu denken, wie er es Eberhelm heimzahlen könne. Doch seine Verwandten gemahnten ihn, seinen Zorn vorerst zu zügeln. Hier auf Burg Entensteg seien sie erst einmal sicher – denn wenn es der Treublatter tatsächlich wagen würde, hier aufzukreuzen, würde er es mit dem ganzen Haus Entensteg zu tun bekommen! Stattdessen wollten sie warten, bis sich Anghild hinreichend erholt hatte, und dann mit angemessener Bedeckung direkt zu Wilbur vom See ziehen, um beim gräflichen Gericht Anklage gegen Eberhelm wegen Mordversuchs zu erheben. Truchsess Voltan von Falkenhag würde sich sicherlich brennend dafür interessieren, dass hier ein einfacher Edler Anschuldigungen gegen seinen verstorbenen Bruder Orsino über eine außereheliche Affäre erhob. Eberhelm würde sich noch wundern!

Wieder einige Tage später erschien die barönliche Hauptfrau Wolfberta Sauertopf auf Entensteg. Sie stellte Erkundigungen im Namen des Barons an, nachdem dieser aus Mistelstein und Beilklamm unterschiedliche Berichte erhalten hatte. Unterwegs waren ihr und ihren Begleitern die für diese Jahreszeit auffällig vielen Reiter nicht entgangen, welche es allesamt eilig hatten, ihres Weges zu ziehen, wenn sie näher kamen. Zwar war es kein Waffenvolk gewesen, aber sie als eine erfahrene Kriegerin wurde bei jeder ungewöhnlichen Begebenheit wachsam. Dies bestätigte den Entenstegern endgültig, was sie ohnehin die ganze Zeit vermutet hatten, und sie schenkten Wolfberta unversehens reinen Wein ein.

Die Hauptfrau hörte sich geduldig den Ablauf der Ereignisse an, wie er von Bolzer geschildert wurde. Furgund und Birgon bestanden darauf, dass es ein Mordversuch gewesen war. Ohne selbst zu urteilen, bat Wolfberta darum, einen Blick auf Anghilds Verwundung werfen zu können, was ihr nur zu gerne gewährt wurde. Tatsächlich sah Wolfberta, dass es sich um eine Armbrustwunde handeln musste. Die Geschichte über die angeblich untreue und ertappte Ehefrau, die plötzlich einfach davongelaufen sei, stimmte offensichtlich nicht! Doch auch an der Version der Entensteger hatte sie starke Zweifel, denn sie kannte sowohl Eberhelm von Treublatt als auch Ferk von Alrichsbaum von verschiedenen Kriegszügen. Wenn sie wirklich gewollt hätten, wären ihnen Anghild und Bolzer wohl kaum entkommen – nicht in Anbetracht der Überzahl, mit der die Söldner aufgetreten waren. Ein echter Mordversuch wäre mit mehr als einem gezielten Schuss geschehen. Zwar war Anghild noch immer nicht vollständig genesen und längere Gespräche strengten sie nach wie vor sehr an, doch konnte die Hauptfrau davon absehen, schließlich hatte sie vorerst genug erfahren.

Ihre eigenen Erkenntnisse behielt Wolfberta klugerweise für sich. Ausdrücklich hingegen begrüßte sie die Idee, die Angelegenheit einem Gericht zu überantworten, anstatt den Konflikt hier in der Baronie weiter heimlich oder gar mit Waffen auszutragen, und zog schließlich mit ihren Leuten weiter, um den Treublatter zum Frieden zu gemahnen und dem Baron Bericht zu erstatten.

Furgund von Entensteg wollte jedoch nicht darauf vertrauen, dass Eberhelm Vernunft annehmen würde, und wollte nun lieber so schnell wie möglich zum Grafenhof nach Grauensee. Daher drängte die anderen zum Aufbruch. Anghild schien zumindest weit genug erholt, um die Reise zu Pferd auf der Reichsstraße anzutreten, und Bolzer versprach, stets an ihrer Seite zu bleiben. Birgon fühlte sich nicht ganz wohl bei dem Anblick der Waffenknechte, die sie begleiten würden, doch seine Frau beruhigte ihn: Das sei nur zur Abschreckung, damit niemand auf dumme Gedanken käme.

Als Wolfberta auf Beilklamm ankam, fand sie zu ihrer Überraschung nur Govena von Treublatt vor. Diese berichtete, ihr Vater sei vor zwei Tagen mit allen Söldnern aufgebrochen, nachdem einer seiner Späher, ein junger Bursche namens Asgrimm Angbarer, in Windeseile von seiner Mission zurückgekehrt sei. Die Hauptfrau konnte nur vermuten, dass er Eberhelm von der Ankunft der Sindelsaumer Gardisten auf Burg Entensteg berichtet und dieser sich entschieden hatte, zu handeln...