Dohlenfelder Thronfolgestreit - Ein Winter in Dohlenfelde?

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
F25. Epilog
Autor: Reichskammerrichter, Geron, weitere


Salmingen, 1032

Erlan hörte den Ausführungen aufmerksam zu.
„Ich gedenke nicht den ganzen Winter vor der Burg Angronds Daumen zu drehen. Wenn ich einige Wühlschrate anwerbe, dann um die Burg zu erstürmen. Daher auch meine Frage, ob es möglich ist, eine Mine unter den Mauern hindurch zu treiben. Wenn es sein muss, lasse ich auch ein Loch in die Mauern schießen. Angrond wird schon aufgeben, wenn seine Burg gefallen ist und er sich in unserer Hand befindet. Seine Verbündeten können mir dann gestohlen bleiben, und wir müssen auch keine Söldner bis ins Frühjahr hinein bezahlen. Wir haben doch etwa vier leichte Rotzen. Eine von einem eurer Vasallen, eine aus meinem Gefolge, und zwei werde ich anwerben. Wenn wir die Dinger nur vier Stunden lang schießen lassen, können wir zirka 1000 Steinbrocken gegen die Mauern schleudern. Soll heißen, dass es nicht lange dauern sollte, bis wir eine Bresche geschlagen haben. Der Rest ist dann Sache unserer Ritter und Fußtruppen, aber angesichts der Mengen, die zu unserer Verfügung stehen sollte es kein Problem, sein die Burgbesatzung zu überwältigen. Vielleicht ist Angrond ja auch ein weiser Mann und er gibt auf, wenn er unser Belagerungsgerät erblickt.“
Roklan beugte sich zu seinem nandusgeweihten Berater. Flüsternd wechselten einige Worte hin und her, dann drehte sich Roklan, der Baron, wieder dem Beraterkreis zu.
„Baron Sindelsaum, ich denke nicht, dass wir so schnell reagieren können, wie Ihr es eben anspracht. Schließlich müssen wir erst Tandoscher, Eisensteiner, Rabensteiner…“, ein Blick glitt zu der Waffenmeisterin seines Schwagers, „…Galebqueller, Sindelsaumer und Dunkelforster Truppen quer durch die Nordmarken und den Kosch nach Dohlenfelde führen. Und welche Wege haben wir, gerade schweres Gerät zu transportieren? Den Großen Fluss?“
Roklan zuckte mit den Achseln, eine Geste, die seinem jugendlichen Gesicht den Hauch von Reife und Alter verlieh.
„Gräfin Calderine von Albenhus wird sich freuen, Truppen in ihrem Lehen Willkommen zu heißen. Über die Reichsstraße und den Halvartsstieg? Da brauchen wir Wochen. Almada schließe ich aus. Tandosch und Eisenstein müssten ebenfalls den Großen Fluß nutzen, diesmal jedoch anstrengender stromaufwärts.“
Seine kräftige Hand mit den langen Fingern fuhr sich quer über seinen Schädel und hinterließ in seinem kurzen, welligen Haar eine Schneise der Verwüstung.
„Wir wissen auch nicht, welchen Zeitrahmen wir haben. Plant Angrond schon etwas? Hat er, genau wie Ihr, Hagen, schon seine Berater und Verbündeten zusammen gezogen? Welche Truppen stehen ihm jetzt schon zur Verfügung? Es sind so viele offene Fragen!“
Der junge Baron erhob seine Stimme. Er wurde nicht zornig, sondern suchte nach Aufmerksamkeit, auf dass jeder im Saal ihm zuhören würde. Vor fünf Jahren noch war er der Knappe des Herzogs, nachdem sein eigener Knappenvater gerichtet worden war, und der Enkel eines Verräters. In den letzten Jahren schien der einstmals junge, rehscheue Ritter gereift, vor allem an seinem neuen Amt als Herrscher über Galebquell.
„Folgende Punkte MÜSSEN wir klären…“, er hob seine linke Hand, locker zur Faust geballt
„Erstens: Wir brauchen Kundschafter in Dohlenfelde, die uns über Aktivitäten Angronds und seiner Verbündeten informieren.“
Ein langer, kräftiger Zeigefinger streckte sich.
„Zweitens: Wir brauchen zuverlässige, sichere und schnelle Wege nach Dohlenfelde, über die wir unsere Truppen bewegen können.“
Ein langer, kräftiger Mittelfinger streckte sich.
„Und drittens: Wir brauchen Sammelplätze in den Nordmarken. Orte, an denen wir unsere Bewegungen koordinieren können. Und die nicht zu weit von Dohlenfelde entfernt sind.“
Er sah auf seinen Nandusgeweihten hinab. Roklan hatte sich unbewusst von seinem Platz erhoben. Ynbaht von Lichtenberg nickte kurz, dann wandte sich der Baron von Galebquell wieder den Beratern zu.
„Zu letztem Punkt schlage ich Galebquell, die Galebburg vor. Meine Burg liegt am Rande der Koschberge und an der Galebra. Mit dem Quellpass existiert eine Verbindung in das Fürstentum Kosch. Allerdings…“
Roklan hielt einen Moment inne, als schiene er sich für dieses nun folgende ‚Aber‘ zu schämen.
„… Der Quellpass ist schmal. Wir können keine größeren Truppenverbände hinüberbringen, es sei denn, sie marschierten im Gänsemarsch. Wenn wir die Zeit haben, können wir die koscher Mannschaften gerne nach und nach über den Quellpass bringen, was möglicherweise weniger auffällig ist als ein großer Aufmarsch. Gefährte jedoch brauchen gar nicht zu versuchen, die Schwertschlucht und den Quellpass zu überwinden.“
Roklan von Leihenhof verzog kurz seinen rechten Mundwinkel zu einem gequälten halben Grinsen und wandte sich dann in Erlan von Sindelsaum.
„So gut wir sie auch brauchen können, Eure Rotzen müssten dann einen anderen Weg einschlagen. Aber über die Galebra können wir recht schnell nach Dohlenfelde schiffen, denn die Galebra gehört nicht den Grafen oder Baronen, sondern dem Herzog!“
Baron Hagen hatte genau zugehört. Sein Schwager hatte wichtige Punkte vorgebracht, und er wollte keine Missverständnisse darüber aufkommen lassen, dass er sich über diese Fragen bereits Gedanken gemacht hatte. Im Groben stimmte das ja auch. Nicht im Detail. Er hörte die gestrenge Stimme seines Schwertvaters in seinem Kopf, der ihn ermahnte, erst gut nachzudenken vor dem Reden – und ergriff das Wort:
„Schwager, um auf Eure wohlüberlegten Fragen direkt zu antworten: Wir brauchen keine Kundschafter in Dohlenfelde, steht doch die halbe Baronie – das Junkergut Erzweiler – hinter meinem Anspruch. Der Ritter zu Maringen“, er schaute zu Rondrian, „war vor einigen Tagen noch in Dohlenfelde. Er hat mich ausführlich darüber informiert, dass Angrond – mit dem er vor nicht einmal zwei Wochen sprach – nichts von unserem Treffen hier ahnt, und momentan auch kein Bedürfnis darin sieht, seine Verbündeten zusammen zu rufen. Er ist sich seines Thrones sicher, und betrachtet die Bedenken der Erzweilerer als vorübergehende Erscheinung. Zum Weg nach Dohlenfelde: Der einzig wirklich schnelle Weg nach Dohlenfelde führt über den Großen Fluss, und damit auch über Twergenhausen. Ich hoffe hier darauf, dass Seine Hochgeboren Irian“, dem er freundschaftlich zunickte, „die Tore der Stadt für uns öffnen wird, und sei es um den Preis von größeren Zugeständnissen an die Pfeffersäcke, bei Rondra.“
Man sah Hagen an, wie schwer ihm diese Worte gefallen waren. Aber er wusste – dies hatte seine Mutter ihm bei der Vorbereitung dieses Treffens mehrfach sehr deutlich gesagt –, dass er über seinen eigenen Schatten springen musste, um Dohlenfelde für sich und seine Ansoalda von Leihenhof zu erringen. Rondra, so hatte Frylinde gesagt, herrsche über das Schlachtfeld und den Zweikampf. Nicht aber über die Politik.
Der junge Baron fuhr fort: „Was den Sammelplatz betrifft, der macht mir die größten Sorgen.“
Hagen machte eine Pause, kniff seine Augen zusammen, seine Stirn legte sich in Falten, er kaute für einen Wimpernschlag auf seiner Unterlippe. Das Nachdenken sah man ihm sichtlich an:
„Aber wenn wir es schaffen, alle unsere Truppen auf zwei, drei oder vier Schiffe – wo auch immer wir diese herbekommen sollten – zu verladen, sollte es doch möglich sein, einen beliebigen Hafen oder Ankerplatz flussaufwärts Twergenhausens ¬– oder sogar den Großen Fluss selbst – als Sammelplatz zu nutzen!“
Hagen war recht zufrieden mit seinen Antworten, vor allem seiner letzten, spontanen Idee. Das musste das Salminger Blut in seinen Adern sein! Er schaute dennoch kurz zu Ritter Korbrandt und seiner Mutter. Diese schienen momentan keine Einwände zu haben. Er lehnte sich entspannt zurück und ließ seinen Krug nachfüllen.
Sein Blick wanderte durch den prächtigen Saal, in den er seine Gäste geladen hatte. Es wäre wahrhaft eine Schande, wenn nicht auch die Baronie Dohlenfelde zur Macht seines Hauses beitragen würde.
Schwertleihe ist ein weiterer Punkt…“ Der Baron von Galebquell wandte sich an die Baronesse von Schwertleihe. „Warum stellt sich Euer Vater auf Seiten Angronds? Er ist verheiratet mit Iseweine von Weiseprein, welche dem Herzog treu ergeben ist. Welche Gründe bewogen ihn, sich gegen seine eigene Gemahlin zu stellen – wisst Ihr da etwas?“
„Baron Schwertleihe und ich stehen nicht eben auf gutem Fuße.“
Rondirai versuchte die Tatsache, dass es ihr nicht eben angenehm war, ihre privaten Angelegenheiten in großer Runde darlegen zu müssen, zu überspielen. Eigentlich war sie davon ausgegangen, ja, hatte befürchtet, dass der gesamte nordmärkische Adel über den Bruch zwischen Vater und Tochter Bescheid wusste, war er doch unter Außerachtlassung jedweder Diskretion vollzogen worden. War nicht sogar im nordmärkischen Nachrichtenblatt darüber berichtet worden?
Seit Jahren war sie nun nicht mehr in ihrer Heimatbaronie gewesen, sondern hatte das Leben einer fahrenden Ritterin geführt. Vornehmlich in Garetien und im Kosch hatte sie an so manchem Turnier teilgenommen (und hatte auf einem davon Hagens Bekanntschaft geschlossen). Es hatte sich nicht vermeiden lassen, dass sie immer wieder auf Bekannte ihres Vaters getroffen war. Irgendwann war sie die wiederholten Fragen nach seinem Wohlergehen leid gewesen. Auch wollte sie nicht wieder und wieder erklären müssen, warum sie nicht das angestammte Wappen ihres Hauses, sondern ein farblich davon abweichendes führte. Das ging soweit, dass sie damit geliebäugelt hatte, ihre Rüstung rot anzumalen und fürderhin nur noch als ‚Rote Ritterin‘ aufzutreten. Doch dann hatte man sich offenbar an die drei Schwerter in verwechselten Farben und gegenläufiger Ausrichtung in schrägrechtsgeteiltem Feld in Silber und Rot (anstelle von Gold und Grün) gewöhnt, sodass ihr der Schritt erspart geblieben war.
Nur ein paarmal hatte das Schicksal es gefügt, dass die Wege von Vater und Tochter sich gekreuzt hatten. Und stets hatten sie sich im Streit wieder voneinander getrennt. Einst hatte ihr Vater Anstoß genommen an ihrer ‚unbeschwerten‘ Lebensführung und versucht, über ihren Kopf hinweg zu entscheiden, welchen Weg sie einzuschlagen habe. Als er schließlich gemerkt hatte, dass er in all seinen Bemühungen gegen eine Wand lief, hatte er seine Tochter im Zorn verstoßen. Zweifellos hatte er dies seitdem oft bereut, doch inzwischen war Traviadan mit der Landhauptfrau vermählt, und diese hatte drei Kindern das Leben geschenkt. Der Fortbestand des Hauses Schwertleihe war damit wieder gesichert. Warum also bedrängte ihr Vater, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte, Rondirai weiterhin damit, dass sie ihrem Leben endlich einen Sinn und ein Ziel geben solle? Als ob sie eben das nicht schon versucht - und dabei zuletzt jedwede Unbeschwertheit verloren - hatte!
„Ich bedaure, Baron, doch kann ich euch beim besten Willen nicht sagen, warum mein Vater Herrn Angrond den Vorzug gibt. Bis eben wusste ich lediglich, was jedem hier offensichtlich ist, nämlich dass er nicht mit uns an dieser Tafel sitzt. Ich vermute, ich bin in dieser Sache nun ebenso schlau wie ihr und könnte über die Entscheidung meines Vaters allenfalls Mutmaßungen anstellen. Doch wenn das ‚Dass‘ nun einmal feststeht, dann spielt das ‚Warum‘ zu diesem Zeitpunkt wohl ohnehin keine Rolle mehr. Er wird schon seine Gründe haben. Was eure zweite Frage angeht: Ich kenne meinen Vater doch immerhin so gut, dass ich euch versichern kann, dass er sich mit seiner Entscheidung keinesfalls gegen seine Gemahlin oder gar den Herzog stellt. Weder versehentlich, noch absichtlich. Sowohl Seine Hoheit als auch Ihre Exzellenz werden das bei objektiver Betrachtung ebenso sehen. Anderenfalls wird sie mein Vater zweifellos alsbald vom Gegenteil überzeugen. Falls ihr ihn hattet, mögt ihr euch also getrost von dem Gedanken trennen, dass es um den Segen im Hause Schwertleihe-Weiseprein und das Ansehen meines Vaters am Herzogenhof derzeit schlecht bestellt sein muss.“
„Die Ehrenhaftigkeit der Familie Schwertleihe und ihre Rechtschaffenheit wird hier kaum jemand in Frage stellen“, mischte sich Gorwin ein.
„Die Gründe Eures Vaters wollen wir also nicht weiter hinterfragen. Nur soviel, können wir erwarten, dass Waffenfähige aus Schwertleihe uns entgegenstehen werden?“
Gorwin interessierte es letztlich wenig, wie Rondirai zu ihrem Vater stand. Ob dieser jedoch zu Angrond auch im Felde halten würde, war schon eine entscheidende Frage, gleich in wessen Sinne er dabei handeln mochte. Ein anderes Problem, nämlich dass es vermutlich zu knapp werden würde, rechtzeitig für eine Belagerung im Boron noch alle Kräfte und Vorräte zusammenzubringen oder dies vor allem von Tandosch und Eisenstein für die Unterstützer Angronds gänzlich geheim zu halten, sprach er nicht an.
„Mein Vater ist nicht zimperlich. Er steht zu seinem Wort. Spätestens seit dem Großen Herzoglich-Weidener Turnier zu Trallop anno 1023 BF sollte das bekannt sein. Sollte Baron Schwertleihe Herrn Angrond tatsächlich seine Unterstützung zugesagt haben, zweifle ich nicht daran, dass er für ihn in die Waagschale werfen wird, was er meint, vor sich selbst, den Göttern, dem Herzog und den ihm Anvertrauten verantworten zu können. Wahrscheinlich sogar in ziemlich genau dieser Reihenfolge. Ganz so, wie die Anwesenden das auch für Herrn Hagen tun würden. Mit anderen Worten: Ja, genau das können wir erwarten!“
Die Vorstellung, auf dem Schlachtfelde möglicherweise ihrem Vater gegenübertreten und sich mit ihm messen zu müssen, ließ sie schaudern. Nicht etwa, weil sie fürchtete, von ihm niedergestreckt zu werden. Ihr graute vielmehr bei dem Gedanken, dass mit Rondras Hilfe der unwahrscheinliche Fall eintreten könnte, dass sie ihn schlug.
Gorwin wandte sich nun an Hagen selbst, wobei er anfangs eher dessen Mutter anblickte.
„Euer Hochgeboren, ein wichtiges Anliegen meines Herrn habe ich bereits vorgebracht. Verzeiht mir, wenn ich dies wiederholen muss. Sein Hochgeboren Irian von Tandosch äußerte sich bereits zuvorkommend in dieser Sache. Hier mag noch manches auszuhandeln sein, aber für den heutigen Praioslauf mag es genügen. Eines bleibt jedoch noch, könnt Ihr Euren Schwertvater bitten, zu Gunsten Eurer Ansprüche auf jedwede von ihm ausgehende Feindschaft gegen meinen Herrn und seiner Getreuen zu verzichten? Selbstredend, solange er sich nicht aufgrund von Übergriffen meines Herrn Getreuen gegen sein Lehen und Schutzbefohlenen dazu berechtigt fühlt. Ein Umstand, das darf ich Euch versichern, der zum Wohle Eurer Ansprüche nicht eintreten wird. Und könnt Ihr Euren Schwertvater darum bitten, Euren Verbündeten im Rahmen der Durchsetzung Eurer Ansprüche freies Geleit durch seine Lande zu gewähren? Da Rabenstein in unmittelbarer Nachbarschaft zu Dohlenfelde liegt, wäre dies eine wichtige Vereinbarung.“
Frylinde schaute kritisch zu dem Ritter aus Eisenstein. Sie verachtete ihn nicht, wie dies ihr verstorbener Gatte tat. Sie verachtete niemanden. Verachtung war ein niederer Instinkt, der Matriarchin eines hesindegläubigen Geschlechts nicht angemessen. Aber sie schätzte Gorwin nicht. Ganz und gar nicht. Und sie schätzte seinen Herrn, Baron Rajodan von Keyserring auf Eisenstein, nicht. Hochgeboren Rajodan war bis zum Äußersten opportunistisch, brutal, menschenverachtend – und zugleich ein treuer Vasall des Grafen zu Isenhag und des nordmärkischen Herzogs, dem man rein formal nichts vorwerfen konnte. Frylinde wusste, dass die Baronie Eisenstein eine Schlüsselrolle im Streit um Dohlenfelde einnahm: Sollte Eisenstein gegen Hagen stehen, hätte Rabenstein ein Problem. Aber noch wichtiger war, dass Eisenstein der wichtigste Nachbar der großen und bevölkerungsreichen Baronie Eisenhuett war. Das dort herrschende Geschlecht Quakenbrück war der wichtigste Verbündete Angronds. Dadurch, dass Eisenstein auf Hagens Seite stand, konnte Quakenbrück nicht seine ganze Stärke in die Waagschale werfen. Und das würde das Haus Quakenbrück zweifellos, ging es doch mit dem Anspruch Angronds auch um den Anspruch seiner Gattin Isida von Quakenbrück und die Kinder der beiden. Daher musste sie wohl oder übel dem Baron zu Eisenstein entgegenkommen. Nicht auszudenken, wenn Eisenstein gar die Seiten wechseln würde.
War sie am Ende nicht weniger opportunistisch als Ritter Gorwin und dessen hochgeborener Herr? Aber dies hier war Politik, kein Hesindedisput. An solche moralischen Fragen war nun kein Gedanke zu verschwenden. Es ging um das Erbe ihres Sohnes, um das Erbe – und damit die Zukunft – des stolzen Hauses Salmingen, Hesinde zum Wohlgefallen. Die Allwissende hatte noch große Ziele mit ihrer Familie, darin war sie sich sicher. Frylinde schluckte und schaute Gorwin direkt in die Augen, der Ritter wich dem Blick der Baronsmutter nicht aus:
„Seid versichert, Hoher Herr, dass es im ureigensten Interesse meines Sohnes liegt, dass Rabenstein auf alle Feindseligkeiten gegen Euch verzichten wird. Die Entscheidung darüber liegt selbstredend bei Seiner Hochgeboren Lucrann. Wir werden uns aber in dieser Frage in Eurem Sinne verwenden.“
„Verzeiht, ich möchte hier etwas anmerken.“
Der tandoscher Baron hatte sich erhoben und war, die Bediensteten ignorierend, zu den Weinkaraffen geschritten und schenkte sich nach.
„Mein hochgeschätzter Schwager Roklan hat Recht. Nicht nur Hagen, nein, auch Angrond wird bemüht sein, Streiter für seine Sache zu finden. Daher ist es um so wichtiger, ihn abzuschneiden. Wenn Brieftauben zur Verfügung stehen, kann ich Ansprechpartner der Händlerbundes hierher zitieren. Auch will ich ein Prisenkommando hierher befehlen, auf dass keine Unterstützung Angond über den Großen Fluss erreichen mag. Wir haben also jetzt die einmalige Möglichkeit, Angrond einzuschließen. Twergenhausen wird geschlossen, Dohlenfelde ist versperrt,“ ein Blick zu Lucran folgte diese Halbsatz, „und weitere Wege sind mir nicht bekannt. Und angesichts der Ereignisse, die sich zur Herzogenturney zu Elenvina ereignet haben, mag ich den unverzüglichen Transfer aller Kämpfer kostenneutral, äh verzeiht, kostenlos anzubieten, so diese einen Hafen oder andere schiffbare Stelle erreichen.“
„Das hört man doch gerne. Die Koscher Truppen können sich ja schlicht und einfach in Ferdok sammeln. Die Truppen östlich Dohlenfeldes können dann auf dem Hinweg eingesammelt werden, während die Truppen aus dem Westen auf eigene Faust anrücken. Damit hätten wir dann zwei große Haufen, die wir dann nur noch zeitgleich anlanden müssen, um unseren Überraschungsvorteil nicht zu verspielen.“
Innerlich seufzte Erlan auf. Er hatte schon gewaltige Kosten für den Transport von Truppen und Geräten auf sich zukommen gesehen.
Die Selbstbedienung des Tandoschers an der Karaffe mit gutem almadanischem Wein zeigte dessen schlechte Manieren, dachte Frylinde. Aber auch auf Manieren kam es nicht an, wenn es um das Erbe ihres Sohnes ging. Sie sprach, zuerst zu Erlan gewandt:
„Hochgeboren, Ihr habt die entscheidenden Punkte klar zusammengefasst: Zwei Sammelplätze benötigen wir für unsere Truppen, und dann die Koordination, dass diese binnen weniger Stunden in Twergenhausen, eintreffen. Dann hat Angrond kaum die Gelegenheit, zu reagieren – und Dohlenfelde ist unser. Wie mit Burg Dohlenhorst zu verfahren ist, werden wir dann ganz pragmatisch vor Ort entscheiden müssen.“
Dann wandte sich die Baronsmutter Irian von Tandosch zu: „Euer Hochgeboren, zuerst einmal danke ich Euch für die von Euch in Aussicht gestellte umfassende Unterstützung unseres Ansinnens. Nun zu Eurer Frage: Selbstverständlich haben wir Brieftauben auf Burg Salmingen. Ob diese Euch nützen, hängt selbstverständlich vom Orte ab, von dem ihr einen Ansprechpartner des Bundes ‚hierher zu befehlen’ gedenkt.“
Die Wortwahl des Tandoschers – ‚befehlen’ – hatte Frylinde schon irritiert, als der Baron sie ausgesprochen hatte. Als sie seine Worte wiederholte, stolperte sie fast darüber. Jemand, der im Albenhuser Bund tatsächlich ein gewichtiges Wort hatte, ließ sich sicherlich nicht von einem Baron, womöglich nicht einmal von einem Grafen, irgendwo hin ‚befehlen’. Patrizier waren keine Bauerntölpel! Wortwahl mochte schlicht der ungeschliffenen Rethonik dieses Rodasch-Barons mit der Augenklappe – die Götter mussten Sinn für Ironie haben, dass zwei der Barone, die Hagen unterstützten, eine solche trugen – geschuldet sein. Oder aber sie hatte den Baron zu Tandosch bisher ganz klar unterschätzt.
Nach nur einem Wimpernschlag setzte Frylinde ihre Rede fort: „An welchen ‚Ansprechpartner’ denkt Ihr? Und wie lange würde es – die Tauglichkeit unserer Brieftauben vorausgesetzt – dauern, bis dieser hier sein könnte?“
Der Nandusgeweihte neben dem Baron von Galebquell räusperte sich vernehmlich. Noch bevor der Tandoscher Baron auf die Frage Frylindes Antworten konnte, hatte er sich bereits mit seiner cremigen Stimme eingebracht. Er musterte Frylinde von Salmingen aus halb geschlossenen Augen, das intensive Grün leuchtete unter den hellen Lidern wie eine Gras bewachsene Wiese, die vom silbrigen Licht des vollen Madamals beschienen wurde. Seine Hände lagen die Finger entspannt, locker übereinander auf dem Tisch. Sein Atem war ruhig, frische Luft sog Ynbaht von Lichtenberg tief durch die Nasenflügel ein und blies ihn durch den leicht geöffneten Mund wieder hinaus. Einen Moment verharrte er, dann öffnete er seine Augen vollends und blickte Frylinde in die ihren.
„Ich fürchte, wir übersehen etwas.“
Er entschuldigte sich nicht dafür, Irian von Tandosch in die Parade gefahren zu sein.
„Ihre Hochwohlgeboren Gräfin Calderine von Albenhus wird es nicht mit Wohlwollen auffassen, dass Schiffe voller Soldaten und Bewaffnung an ihr vorbeifahren“, erklärte der Nandusgeweihte.
„Ebenso wenig wird es der Baron von Kaldenberg, welcher – vermutlich, wenn überhaupt – auf Seiten Angronds stehen wird. Und ob der Graf von Ferdok sich so erfreut zeigen wird, wenn sich Truppen, die in den Nordmarken agieren wollen, vor seinen Augen in seiner Stadt versammeln, wage ich auch zu bezweifeln.“
Ynbaht brachte ein halbes Lächeln zustande, dennoch blieb er ernst.
„Sicherlich, wir unterstützen einen seiner Lehnsmannen – doch ist das Objekt unserer Mission nordmärkisches Gut. Albenhus ist kaiserliche Stadt, Kaiserlich Weidleth kaiserliches Eigenlehen.“
Er schüttelte den Kopf.
„Twergenhausen ist herzogliche Stadt, doch wir wissen nicht, wie Twergenhausen sich wirklich verhält. Können wir jetzt schon mit dem Umstand planen, in Twergenhausen ein Lager zu finden?“
Ynbaht blickte jetzt erst Hagen von Sturmfels, dann Irian von Tandosch in die Augen.
„Werden Gräfin Calderine von Albenhus und die Stadt Albenhus die Mannschaften aus dem Kosch einfach vorbei lassen?“
Der tandoscher Baron nahm wieder Platz und nippte an seinem Wein.
„Nun, der gute Throndwig Gliependiek befindet sich derzeit in Ferdok. Die Aussicht auf ein Geschäft, dass ich vermittle, wird ihm Flügel verleihen. Eine Taube, die einen zuverlässigen Gewährsmann in Ferdok erreicht, wäre hilfreich. Dieser könnte die Botschaft dem dortigen Kontor der Gliependieks überbringen. Und eine Taube gen Elenvina wäre ebenso hilfreich, für eine Nachricht an das Haus der Efferdbrüder.“
Nun wandte sich Irian dem Nandusgeweihten zu.
„Ich kenne die Pfeffersäcke ganz gut und weiß daher, wie sich Twergenhausen verhalten wird. Orte wie Albenhus oder Weidleth interessieren nicht. Meine privaten Schiffe müssen nirgends anlegen, solange sie keine Handelswaren transportieren. Der Fluss hingegen ist nicht in ihrem Besitz und mit einer geschickten Wahl der Reiseroute haben wir kein Problem. Und ich bin mir leider sicher, dass der Kaldenberger keine Probleme bereitet, wenn tandoscher Schwerter in Reichweite sind.“
Frylinde horchte auf, als sie hörte, dass Throndwig Gliependiek in Ferdok weilte. Gerade Throndwig! Dieser Patriziersohn – das älteste lebende Kind des amtierenden Bürgermeisters zu Twergenhausen und dessen prospektiver Nachfolger – war vor Jahren mit ihrem Gatten schwer aneinandergeraten. Und sie wusste auch, dass auch ihr Stiefsohn Angrond kein gutes Wort für Throndwig übrig hatte. Die beiden kannten sich von der Rechtsschule zu Beilunk:
Angrond hatte diese gleich nach seinem Ritterschlag besucht, Throndwig erst mit fast dreißig Jahren. Ursprünglich war die Juristenlaufbahn nämlich gar nicht für ihn vorgesehen, aber nachdem sein älterer Bruder einer überraschenden schweren Krankheit erlegen war, wurde Throndwig, der eine Kriegerschule absolviert hatte, mit allen Mitteln darauf vorbereitet, das Erbe seines Vaters würdig anzutreten. Und dazu gehörte eine handfeste juristische Ausbildung. Auf jeden Fall hatte Throndwig in Twergenhausen ein gewichtiges Wort mitzureden, denn jeder wusste, dass der Mittvierziger eines Tages Bürgermeister der Herzogenstadt sein würde.
Hagen hatte sich fast an seinem Bier verschluckt, als er den Namen Throndwig Gliependiek aus dem Munde des Tandoschers hörte: Dieser arrogante, macht- und geldgierige Pfeffersack! Warum gerade dieser! Bei Rondra! Sein Vater hatte sich nie mit Throndwig verstanden, und sogar Angrond – der eigentlich ein sehr ausgeglichenes und ruhiges Gemüt hatte – lag im Streit mit dem Patriziersohn, der den Konflikt mit dem alteingesessenen Adel geradezu zu suchen schien. Das einzige Positive, das Hagen zu Throndwig einfiel, war, dass dieser ein exzellenter Schwertkämpfer war und einen Kriegerbrief besaß. Der junge Baron richtete das Wort an Irian:
„Hochgeboren, natürlich können wir eine Brieftaube nach Ferdok – zum Grafen – und eine nach Elenvina – zum Herzog – fliegen lassen. Seine Hochwohlgeboren wird dem jungen Gliependiek Eure Nachricht sicherlich umgehend zukommen lassen. Und diesem sollte es daher möglich sein, mit einer Eilkutsche schon morgen Abend hier zu sein.“
Hagen setzte seinen Krug an und nahm einen kräftigen Zug.
„Wenn der geehrteste Herr Throndwig Perval Aurentian Gliependiek denn guten Willens ist!“, ergänzte Frylinde den letzten Satz ihres Sohnes.
„Hagen, wir dürfen nicht vergessen, dass Twergenhausen noch nicht auf unserer Seite steht. Twergenhausen wird einen Preis fordern – und ich weiß nicht, ob wir diesen zu zahlen bereit sind. Es spricht einiges dafür, dass wir uns mit der Herzogenstadt einig werden. Aber wir dürfen uns, damit hat Seine Gnaden absolut recht, darauf nicht verlassen.“
Sie wandte ihren Blick zu dem Nandusgeweihten. Dass sie, wie so viele traditionelle Hesindegläubige, dessen Kirche, die solche offensichtlichen Dummheiten wie Volksbildung – alleine schon dieses Wort! – förderte, für eine oft unterschätzte Gefahr für die zwölfgöttergewollte Ordnung der Dinge hielt, war kein Geheimnis. Bildung und Wissen sollte ihrer Meinung nach den dafür von den Göttern ausersehenen Ständen – der Geweihtenschaft, den Gildenmagiern, dem Adel, mit Einschränkungen dem städtischen Patriziat – vorbehalten sein. Einen Bauern konnte zu viel nachdenken nur von der Arbeit abhalten und Flausen in den Kopf setzen, wenn nicht zu Dummheiten anstiften.
Frylinde erhob ihre Stimme: „Euer Gnaden, Eure anderen Einwände in Ehren. Aber Ihr habt nicht bedacht, dass der Große Fluss dem Reich und den Provinzherrn zu eigen ist, die Grafen haben dort keinerlei Macht. Und die Zollstellen und Stapelzwänge betreffen, wie Seine Hochgeboren Irian richtig anmerkte, nur Frachtschiffe. Was den Grafen in Ferdok betrifft, wird dieser meinem Sohn, seinem treuen Vasallen, keine Steine in den Weg legen.“