Dohlenfelder Thronfolgestreit - Belagerungshandwerk

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
F25. Epilog
Bor 1032 BF
Belagerungshandwerk
Die Wahl der Mittel


Kapitel 21

Das zweite Heer
Autor: Reichskammerrichter, Geron, weitere

Nordmarken, 1032

Darüber, dass es keine Möglichkeit gab, Stellungen zu errichten, die nicht vom Geschützturm Dohlenhorsts zu bestreichen wären, machte sich Hagen wenig Gedanken. Die erhabene Schussposition der Rotzen in Angronds Burg könnte weitere belagerungstaktische Probleme verursachen, war die Reichweite der verteidigenden Burggeschütze doch wahrscheinlich ein wenig größer als die Reichweite der tiefer stehenden Rotzen der Angreifer.
Ebenso wenig sinnierte Hagen darüber, dass der erzzwergische Baumeister der Burg immer große Angst vor einem Drachenangriff hatte, und daher besonders auf die Feuerfestigkeit der Dächer geachtet hatte – dazu kam zur Unterstützung Angronds dieser ewige Nieselregen. Ein Ausräuchern der Verteidiger wäre wohl kaum möglich.
Aber diese Details interessierten Hagen herzlich wenig: Er wollte einen möglichst raschen Beschuss, um dann im darauffolgenden Sturmangriff seinen Halbbruder im rondrianischen Zweikampf bezwingen zu können. Wenn er Angrond dann die Klinge auf die Kehle setzen würde, würde dieser das Testament Bernhelms schon respektieren und auf seine falschen Ansprüche auf Dohlenfelde verzichten. Es ging hier um Recht und Gerechtigkeit, um Ruhm und Ehre. Was interessierten da die Gesetze der Ballistik oder zwergische Ingenieurskunst?
Nachdem ihr Sohn geendet hatte, wandte sich Frylinde an den Baron zu Sindelsaum:
„Hochgeboren Erlan, gerne nehme ich Euer Angebot an, Angrond eine weitere Gelegenheit zur Kapitulation oder zumindest dazu zu geben, uns die Leben der Nichtkämpfenden schonen zu lassen. Ich bestehe jedoch darauf, dass Euch zu Eurem persönlichen Schutze Ihre Hochwürden Leuengunde begleitet: Ein Waffenknecht würde es vielleicht wagen, einen Baron mit der Armbrust niederzustrecken – aber nicht, wenn an dessen Seite eine Rondrageweihte reitet. Seit mein Gatte durch einen feigen Armbrustschützen gemordet wurde, möchte ich hier kein Risiko eingehen.“
Frylinde war ernstlich besorgt um das Leben und die Gesundheit des tapferen koscher Verbündeten ihres Sohnes – und traute einfachen Bütteln und Gardisten so ziemlich jede Schandtat zu.
Der Nieselregen hatte immer noch nicht aufgehört, als sich Seine Hochgeboren Erlan und Ihre Hochwürden Leuengunde kurz vor dem Hereinbrechen der Abenddämmerung auf den für ihre Pferde nicht unbeschwerlichen Weg hinauf zum Tor Burg Dohlenhorsts machten. Glitschige Blätter lagen auf dem gesamten Pfad, hier hinaufzustürmen wäre fast tollkühn. Gut, dass sich Erlan und Leuengunde auf einem Parlamentärsritt befanden.
Das grün-gelbe Banner Dohlenfeldes wehte über dem Bergfried und über dem dem Großen Fluss zugewandten Geschützturm, der Baron und die Geweihte konnten nur erahnen, dass sie aus den Schießscharten und Geschützpforten der Burg genau beobachtet wurden.
Leuengundes Blick schweifte zur links des Bergfriedes gelegenen Burgkapelle. Sie freute sich schon darauf, die großen Glasfenster mit der roten Leuin von innen zu sehen. Die Fenster mussten ein Vermögen gekostet haben! Außerdem befand sich dort die beeindruckende Waffensammlung Rondradan Leodegar von Sturmfels, des ersten Barons zu Dohlenfelde aus diesem Hause.
Für einen Augenblick stiegen finstere Gedanken in der Rondrageweihten auf: Mochte der Grund für den unglückseligen Bruderzwist in dieser stolzen Familie sein, dass die Generation Angronds und Hagens die erste in der Jahrhunderte währenden Geschichte des mittleren Hauses Sturmfels war, in der kein Familienmitglied die Weihen der Rondra empfangen hatte?
Der Kopf Leuengundes war augenblicklich wieder klar, als sie hörte, dass sich im Torhaus Ketten in Bewegung setzten, um das schwere Fallgatter in die Höhe zu ziehen. Erlan warf der betrübt dreinschauenden Leuengunde einen aufmunternden Blick zu – er konnte nicht ahnen, was sie eben noch bedrückt hatte. Dann ritten die beiden in den Hof der Vorburg Dohlenhorsts.
Zahlreiche gefüllte Wassereimer waren im Hof zu sehen, alles brennbare Material war in die Gebäude geschafft worden. Insgesamt vier Gardisten mit grün-gelben Dohlenfelder Wappenröcken standen ruhig und mit Armbrüsten bewaffnet auf den Wehrgängen, im Hof wartete eine Offizierin, Mitte vierzig und in Garether Platte gewandet, sowie eine junge Magd.
Während die Magd zwei rasche Schritte nach vorne machte, um um die Zügel der Rösser des Barons und der Geweihten zu bitten, sprach die Offizierin die beiden Parlamentäre direkt an:
„Rondra zum Gruße, Hochwürden und…“ Sie schaute Erlan fragend an, dieser antwortete:
„Rondra zum Gruße, mein Name ist Erlan von Sindelsaum, Baron zu Sindelsaum.“
Umgehend fuhr Ituberga fort:
„Es freut, Euer Hochgeboren. Ich bin, um die Höflichkeiten zu Ende zu bringen, Ituberga von Liepenstein, Baroness zu Liepenstein, Burghauptfrau und Befehligerin der Garde des Barons zu Dohlenfelde, Angrond von Sturmfels.“
Ihre Körperhaltung wurde angespannter, ihr Blick finsterer: „Hochgeboren, was ist Euer Begehr? Was ist noch nicht geklärt, was ich nicht schon mit diesem Ritter besprochen habe, der vor einigen Stunden hier war? Möchte Hagen etwa über seinen Abzug verhandeln und Entschädigungen für das Unheil anbieten, dass sein Feldzug bisher schon über die Baronie Dohlenfelde brachte?“
Erlan von Sindelsaum schaute die hochadlige Offizierin streng an: „Hochgeboren, ich mag den Hohn in Eurer Stimme nicht. Ich bin hier, um ein letztes Mal den widerrechtlichen Besetzer dieser Burg, Euren Herrn Angrond von Sturmfels, aufzufordern, von seinem Treiben abzulassen und die Waffen in diesem schon verlorenen Kampf zu strecken. Falls Angrond dazu nicht bereit ist, mögen wenigstens all diejenigen Dohlenhorst verlassen dürfen, die nicht bereit sind, für einen Thronräuber ihr Leben zu lassen. Ihre Hochwürden Leuengunde garantiert einem jeden, der nun seine Neutralität erklären möchte, freies Geleit.“
Die Rondrageweihte nickte dem Baron wortlos zu, dieser setzte seine Rede fort: „Hochgeboren, es ist nicht mein Interesse, diese Forderungen mit Euch zu diskutieren, sondern Ihre Hochwürden und ich wünschen direkt mit Angrond von Sturmfels zu verhandeln – Angrond betrachtet sich fälschlicherweise als Baron, aber er wird es wohl kaum einem unumstrittenen Baron verwehren, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu treten.“
Ituberga von Liepenstein nickte, sie wirkte ein wenig verlegen: „Ich verstehe Euren Wunsch, kann ihn jedoch nicht erfüllen. Seine Hochgeboren Angrond von Sturmfels ist nicht zu sprechen. Nicht für Euch, nicht für Ihre Hochwürden.“
Dann sprach sie mit fester Stimme: „Und was Euer Angebot betrifft: Keiner, der hier auf Burg Dohlenhorst weilt, wird sich kampflos ergeben. Für wie dumm hält Hagen die Burgbesatzung, dass sie der finsteren Charissia, der Erzschurkin, in die Hände arbeiten würde? Wir kämpfen hier nicht nur für das Recht und die Freiheiten Baron Angronds, nein, wir stehen hier im Streite wieder eine Verbrecherin, die uns alle in den bodenlosen Abgrund reißen möchte! Nie und nimmer, das sage ich Euch! Bei den Zwölfen, nie und nimmer! Richtet dies dem Baron zu Dunkelforst und Baruns Pappel aus.“
Die Pferdemagd nickte zustimmend, und wirkte fast überrascht über ihren eigenen Mut.
Burghauptfrau Ituberga von Liepenstein wies nun mit ihrer Linken auf das Burgtor, die Rechte am Knauf ihres Bastardschwerts: „Hochwürden, Hochgeboren. Es war mir eine Freude, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben. Ich hoffe, dass wir uns das nächste Mal unter besseren Umständen treffen – fürchte jedoch, dass unser nächstes Treffen Euch Euer Leben kosten wird. Aber seid Euch versichert, ich werde mein Bestes tun, um die Herrin Rondra bei diesem womöglich unausweichlichen Kampfe zu erfreuen!“
Die Pferdemagd ließ die Zügel der Pferde des Barons und der Rondrahochgeweihten los und machte rasch ein paar Schritte auf die Seite.
„Er ist nicht hier“, knurrte Erlan. Ernst blickte er die Hauptfrau an.
„So seid ihr im Irrtum. Wir kämpfen sicherlich nicht für die Erzschurkin Charissa, aber der Gedanke mag euch trösten. Ihr werdet unterliegen und das wisst ihr.“
Dann wendete er sein Pferd.
Und so begann es. Schnell war von der Unterredung berichtet und letzte Vorbereitungen wurden getroffen.
„Er ist nicht hier“, wiederholte Erlan. „Gerwulf, finde heraus wo er sich herumtreibt. Wenn ein Baron seine Burg verlässt, bleibt so etwas nie unbemerkt. Bevor wir Dutzende Leben opfern, müssen wir wissen, dass er dort drinnen ist. Wenn es dir nicht gelingt, etwas herauszubekommen, unterrichtest du Frylinde und mich natürlich.“
Der Angesprochene nickte ernst, rief einige Leute zusammen und schwang sich auf sein Pferd.

Im Morgengrauen begann der Kampf.
Zwerge rückten mit großen Holzschilden bis auf 200 Schritt an die Burg heran (die Begebenheiten erzwangen eine so kurze Distant). Ein schwerbeladener Karren folgte und hastig wurden gewaltige Weidenkörbe abgeladen.
Dies war jedoch nicht mehr unbemerkt von statten gegangen, und so schoss eine Feuerkugel in weitem Bogen vom Geschützturm herunter und landete einige weit vor den Schutzwänden. Das Arbeitstempo wurde noch einmal erhöht und Erde wurde in die gewaltigen Körbe gefüllt. Eine Schutzwand wurde aus den Körben errichtet. Voller Erde würden sie eine hervorragende Deckung bieten.
Erneut zischte eine Feuerkugel heran und diesmal fand sie ein Ziel. Voller Wucht durchschlug sie eine Schutzwand, doch kein Feuer brach aus, da das Holz durch den beständigen Nieselregen vollkommen durchnässt war.
Immer wider beschossen die Belagerten ihre Gegner, als würden sie Pfeile und Bolzen in unendlichen Mengen haben, und mehr als einmal fanden sie ihr Ziel. Zahlreiche Verwundete mussten versorgt werden, doch die schlechte Sicht machte auch der Burgbesatzung zu schaffen und verhinderte Schlimmeres.
Schließlich war es soweit. Ein Schutzdach wurde über den vorgesehenen Stellungen errichtet, und dann wurden die Rotzen in Position geschoben. Sofort begannen sie mit dem Beschuss des Geschützturms. Es war nur eine Frage der Zeit, bis eine der Seiten einen guten Treffer landete.
Die Koscher machten es ihren Gegnern jedoch dadurch schwierig, dass sie von Zeit zu Zeit die Position ihrer Geschütze änderten. Mit großer Eile hoben die Mannschaften vor der Geschützstellung Gräben aus. Die Arbeit ging trotz des schlechten Wetters schnell voran und würde – einmal fertig gestellt – guten Schutz vor feindlichem Beschuss bieten.
Ein Söldner Hagens hatte Pech und wurde von einem weit fliegenden Pfeil tödlich verwundet. Es schien fast, als wollten die Verteidiger nicht ihre gesamte Munition am ersten Tag verschießen, denn nach den ersten Schüssen folgte kein Beschuss der Rotze mehr. Es würden sich sicherlich noch bessere Ziele bieten.
Die Koscher hatten solche Probleme hingegen nicht. Nachschub aus Twergenhausen war sichergestellt, und so schossen sie Kugel um Kugel und Feuertopf um Feuertopf auf den Geschützturm ab.
Der Angriff hatte also begonnen. Rajodan von Eisentein war hocherfreut ob der Wendung. Hatte sich Erlan zuvor noch recht unentschlossenen auf ihn gewirkt, mochte sich an diesem Morgen ein anderes Bild geben. Es würde sich zeigen, wie lange er dies durchhalten mochte.
Der Eisensteiner und sein Ritter trieben derweil unnachgiebig die Vorbereitungen für einen Sturmangriff voran. Bald würde der Herr Firun sein Kleid über das Land legen und ein Sturmangriff würde dann über den Pfad zur Vorburg von den Verteidigern leicht abgeschlagen sein können. Umso mehr musste die Söldner und Streiter Hagens mehr die eigenen Anführer fürchten, denn die Gegner.
Auch beschaute sich der Baron den schwachen Mauerabschnitt. Es mochte gelingen über diesen in die Feste zu gelangen. Doch von der einen Seite war er gut von einem Turm auf zu bestreichen, und allein dorthin zu gelangen mochte bereits schwere Verluste kosten. Nun, das sollte die Arbeit der Tandoscherin sein, wenn es soweit war.
„Wie viele Tage werdet Ihr brauchen, ehe der Sturmangriff beginnen kann?“ wünschte der Baron von Eisentein vom Sindelsaumer nun zu erfahren. Zwar stand noch der Vorschlag, Angrond einzuladen, die Belagerung näher zu Begutachten und damit die Gewissheit ob Erlans Verdacht zu erhalten, doch wie der Eisensteiner stets betonte, Zeit war genug verschwendet worden, es musste nun gehandelt werden.
Erlan von Sindelsaum blickte seinen ungeliebten Verbündeten nachdenklich an.
"Schwer zu sagen. Vermutlich eine Woche. Vielleicht mehr vielleicht weniger. Wir müssen Leitern bauen und den Rammbock vorbereiten. Vermutlich wird der Widerstand in der Vorburg ohnehin nicht allzu heftig ausfallen. Wenn Angronds Leute nicht überrollt werden wollen, müssen sie sich nach einigen Schüssen zurückziehen, sonst drohen sie sich zu verzetteln und wir könnten ihnen den Rückzugsweg abschneiden. Angesichts der geringen Besatzung wird Angrond es nicht darauf ankommen lassen und sich schnell hinter den zweiten Wall zurückziehen."
Vor der Burg wurde sich auf eine längere Belagerung vorbereitet. Hagen hatte noch kurz mit der Tandoscherin gesprochen – die im Klettern geübten Flusspiraten würden bei einem Sturm auf die Mauern gut zu gebrauchen sein. Aber bis es zu einem solchen Sturm käme würden noch viele Tage, wenn nicht Wochen vergehen.
Hagen bedauerte dies sehr, konnte aber an den widrigen Umständen nichts ändern.
Nach dem Gespräch mit Hagen begab sich Fiona zum Geschütz und inspizierte die Mauerabschnitte. Bei dem Sturm würde Kor blutige Ernte halten, und so führte sie ein langes, leises Gespräch mit Radomir, dem tandoscher Korgeweihten. Anschließend zog sie sich in das Zelt zurück, schrieb und siegelte eine Nachricht an ihren Vater. Lange blickte Fiona dem Boten mit der Nachricht hinterher. Lange schon war er außer Sicht, als sich Fiona endlich abwand.
In den nächsten Tagen war zu beobachten, wie der tandoscher Korgeweihte in väterlicher Manier Fiona in der Führung von Söldnern unterwies. Dabei waren sich weder Radomir noch Fiona zu schade, Hand anzulegen, wenn es galt, einem Gemeinen zu helfen. So waren innerhalb kurzer Zeit die Kämpfer der anderen Baronien an die südländischen Söldner gewöhnt, die unter al'Anfaner Korbanner in tandoscher Sold standen.
Erlan wurde von aufgeregten Rufen aus seinen Gedanken gerissen und eilte aus dem Zelt. Dort traf gerade einer der Männer ein, die er ausgeschickt hatte, um Angrond zu suchen.
„Der Hund ist geflohen. Gerwulf folgt ihm mit den anderen.“
Erlan begriff schnell.
„Ruft meine Leute zusammen. Sie sollen sich rüsten.“
Wenige Minuten später hatten sich fast alle Kriegsknechte des Sindelsaumers versammelt. Eine gewisse Unruhe ergriff das restliche Lager,als die Hektik bei den Koschern bemerkt wurde.
Als Erlan wieder aus dem Zelt trat war er leicht gerüstet. Mit fester Stimme erteilte er seine Befehle.
„Männer und Frauen, der gemeine Hund Angrond ist geflohen, doch er ist noch nicht so weit entfernt, dass er außer Reichweite wäre. Lana, du hältst hier die Stellung. Kein Angriff, bevor ich nicht zurück bin. Stellt euch aber lieber darauf ein, dass wir überhaupt nicht stürmen werden. Alvide, Balinor, Praiodane, wir brechen auf. Wir nehmen Ersatzpferde mit. Wenn Gerwulf es nicht alleine schafft, müssen wir ran. Und Roglom, außer Frylinde wird niemand informiert. Sollte er Fragen geben ist Gerwulf in einen Hinterhalt von Angronds Leuten geraten.“
Kurze Zeit später donnerte eine Gruppe Reiter aus dem Heerlager. Zurück blieb Lana Lindgrün, die erfahrenste Waffenmagd Erlans, mitsamt dem Fußvolk. Ihr würde nun die Aufgabe zufallen, das überhastete Verschwinden ihres Herrn zu erklären.

- Ankunft des tandoscher Kriegsvolkes -
Es war lange schon Lärm zu vernehmen, bevor zwei Kutschen, begleitet von einer bunten Menschenmenge, in Sicht kamen. Quälend langsam folgten sie dem Weg, je näher sie kamen, desto deutlicher wurde sichtbar, dass es sich um Kriegsvolk ohne jedwede militärische Disziplin handelte.
Kaum hatte der Zug das Lager erreicht, erschall ein leiser aber durchdringender Ton. Mit knappen Bewegungen dirigierte ein Südänder die Neuankömmlinge, Zelte wurden den Wagen entnommen und aufgebaut. Einer der Neuankömmlinge, einen stählernen Haken an Stelle der Linken, löste sich aus der Menge uns steuerte wortlos den tandoscher Korgeweihten an.
Unvermittelt riß er seine Ellenbogen hoch, doch wurde die Bewegung auf halbem Weg zur Schläfe vom Unterarm des Korgeweihten abgefangen. Der Dolch am Hals des Piraten beendete das Zucken des krallenbewehrten Armes, bevor er ein Ziel finden konnte.
„Zu langsam, dein Wein.“
Einen Moment blickten sich die Kontrahenten tief in die Augen, ein rauhes Gelächter erklang und sie fielen sich in die Arme. Der Südländer, der den Aufbau dirigiert hatte, reichte Fiona ein Schreiben, dann stieß er Radomir und den Krallenbewehrten an und schob sie Richtung der belagerten Burg, wo Radomir mit knappen Worten den Plan schilderte.

27. Boron 1032 BF, abends – Auf der Suche nach einem Baron
Gerwulf und seine Leute waren auf Geheiß des Barons zu Sindelsaum sogleich aufgebrochen, um herauszufinden, ob Hagens Halbbruder Angrond von Sturmfels auf der belagerten Burg Dohlenhorst war oder nicht. Eine wichtige Aufgabe, wenn man bedachte, wie viele unnötige Opfer eines drohenden Sturmangriffs auf die Burg vermieden würden, wenn man mit Gewissheit erführe, dass der falsche Baron gar nicht auf seinem Horst hockte! Zudem wollte Gerwulf seinen Freund nicht enttäuschen.
So spornte er seine Mitreiter an und ermahnte sie, genau nachzufragen, vorsichtig zu sein, und keiner List auf den Leim zu gehen. Am Großen Fluss angekommen, wandten sich die Reiter flussabwärts, denn wenn Angrond die Burg in Richtung Twergenhausen verlassen hätte, wäre das bestimmt nicht unbemerkt geblieben oder er wäre womöglich sogar von den Städtern gefangen worden.
Also wollte Gerwulf sein Glück in der anderen Richtung versuchen. In dem stetigen Nieselregen an diesem grauen Borontag war zuerst weit und breit niemand zu sehen. Bald kam den Reitern ein Treidler entgegen, dessen Ochsen sich dampfend und schnaubend den verschlammten Treidelpfad entlang mühten. Doch der Bursche war kurz angebunden, und als Gerwulf ihm mit gezielteren Fragen kam, behauptete er, er achte nicht besonders auf die Leute auf der Straße. Außerdem wolle er Twergenhausen nicht inmitten der Nacht erreichen. Es sei aber durchaus möglich, dass er den ein oder anderen hohen Herrschaften auf dem Weg begegnet war.
Die Reiter folgten weiter der Straße und erfuhren im nächsten Ort, dem Weiler Altengrund, dass die Grenze der Baronie nur neun Meilen entfernt war. Sie spornten ihre Pferde an und folgten im Eiltempo weiter dem Großen Fluss. Als sie die Baroniegrenze erreichten, war es bereits finstere Nacht.
Nahe der Grenze lag das Hofgut Efferdshain, das einem Freibauern gehörte, dessen Vorfahr vor vielen Generationen seine Unabhängigkeit vom Ritter zu Freyen juristisch erkämpft hatte. Hier lag direkt an der Grenze ein Zollhäuschen in grün und gelb, daneben eine kleine Hütte, offensichtlich die Wohnstatt des Zöllners und seiner Familie. Die Schranke war heruntergelassen, kein Mensch war auf dieser Seite der Grenze zu sehen, Schnarchen war aus der Hütte zu vernehmen.
Auf der anderen Seite jedoch – wieder ein Zollhäuschen, diesmal in den Farben des Bergkönigreichs Eisenwald, das hier seine oberderischen Besitzungen hatte, die Vogteien Nilsitz – standen zwei Büttel, eine menschliche Frau und ein Angroscho, die misstrauisch, jeder eine Laterne in der Linken, zu Gerwulf hinüberschauten. Die Frau hatte in der Rechten eine Hellebarde, der Zwerg eine Armbrust.
Wortlos standen sie da, im Laternenlicht waren die Wappenröcke der Vogteien Nilsitz deutlich erkennbar. Der Angroscho stellte seine Laterne ab und legte, Unverständliches knurrend, seine Armbrust an, locker in die Richtung der nächtlichen Neuankömmlinge zielend.
Gerwulf betrachtete die Büttel aufmerksam. Zum Zeichen, dass er in friedlicher Absicht, kam hob er die leeren Hände.
„Ruhig Blut! Ich hege keine böse Absicht.“
Langsam lenkte er sein Pferd an die Zollschranke heran. Die Büttel wurden langsam unruhig.
Der Hüne auf dem Pferd trug einen wilden Bart, war gut gerüstet und schwer bewaffnet und trug einen Wappen, den sie nicht kannte.
„Mein Name ist Gerwulf Waldstein. Ich bin Waffenknecht in Diensten des Barons von Sindelsaum aus dem Kosch. Ich bin mit einem wichtigen Auftrag unterwegs, weshalb ich noch so spät unterwegs bin. Ich werde den Zoll natürlich entrichten und wüsste dann gerne, ob es möglich wäre hier, oder in einem nahen Gasthaus zu übernachten, da ich ungern bei Dunkelheit weiterreisen würde.“
Gerwulf verhielt sich weiter ruhig und bewegte sich nur langsam, da er eine Konfrontation vermeiden wollte.
Während die Frau mit der Hellebarde vom Auftreten so beeindruckt war, dass sie zwei Schritte zurück machte, rührte sich der Zwerg keinen Halbfinger und knurrte – Kenner des Rogolan erkannten selbst in seinem Garethi einen starken ambosszwergischen Akzent, es musste sich wohl um einen erfahrenen Söldner handeln, der seinen Altersunterhalt nun als Grenzer in Diensten des Bergkönigs zu Eisenwald bestritt:
„Dann ist ja gut, dass Ihr ohnehin nicht weiterreisen wollt. Denn diese Grenze ist erst wieder nach Sonnenaufgang passierbar.“
Der Angroscho jenseits der beiden geschlossenen Schranken musterte Gerwulf und grummelte weiter:
„Das nächste Gasthaus auf Eurer Seite der Grenze findet Ihr in Altengrund. Wenn Ihr Glück habt, lässt Euch auch der Bauer vom Hof Efferdshain bei sich nächtigen. Der ist ja gleich da hinten.“
Der zwergische Grenzbüttel im Wappenrock der Vogteien Nilsitz drehte für einen winzigen Augenblick seine Laterne in Richtung des Hofes, und fixierte dabei ununterbrochen den Reiter ihm gegenüber. Gerwulf war klar, dass er genauso gut mit der Zollschranke verhandeln könnte – dieser Ambosszwerg würde ihn vor Sonnenaufgang nicht passieren lassen. Er hatte die Wahl einzulenken, wo auch immer einen anderen Weg zu suchen, oder es aber auf einen Kampf ankommen zu lassen.
Gerwulf grüßte den Zwergen auf Rogolan, wendete dann sein Pferd und ritt zu dem beschriebenen Hof. Die Zöllner niederzumachen wäre gefährlich und unnötig gewesen.Mitten in der Nacht würde ihm ohnehin niemand mehr über Angrond berichten wollen.
Die Bauern waren von ihrem späten Gast sichtlich eingeschüchtert, doch stellte sich der Hüne als angenehmer und ruhiger Gast heraus, darüber hinaus vergalt Gerwulf den Bauern ihre Gastfreundschaft großzügig.
Am nächsten Morgen brach Gerwulf in aller Frühe wieder auf und machte sich daran, die Suche fortzusetzen. Wenn der Zwerg heute morgen keinen Dienst hatte, würde er auch die Zöllner befragen.

28. Boron 1032 BF – Auf der Suche nach einem Baron
Am nächsten Tag – Gerwulf hatte gut ausgeschlafen und zünftig gefrühstückt – machte sich der Koscher erneut auf den kurzen Weg zur Zollgrenze zwischen der Baronie Dohlenfelde und dem Bergkönigreich Eisenwald beziehungsweise der Vogteien Nilsitz. Im dohlenfeldschen Zollhäuschen stand ein älterer Mann im grün-gelben Wappenrock, drei Kinder spielten um die geschlossene Zollschranke nachlaufen. Aus der kleinen Hütte ganz in der Nähe duftete es nach Eintopf.
Jenseits der dohlenfeldschen Zollschranke war diejenige der Vogtes zu Nilsitz, der bösartige Zwerg war nirgends zu sehen. Gerwulf ritt auf die Grenze zu, der Zöllner grüßte etwas misstrauisch.
Als Gerwulf dann ganz direkt fragte, ob Angrond von Sturmfels hier vorbeigekommen sei, zuckte der Mann kurz zusammen, und dann sprudelte es beim Anblick des Hünen aus ihm heraus:
„Ja, Herr, Seine Hochgeboren ist hier vorbeigekommen, mitsamt seiner hochgeborenen Gattin und den hochgeborenen Kindern, und dann noch die Ritterin Alannia, und zwei Gardisten waren auch dabei, neben den Leibdienern und den Zofen und den Kindermädchen.“
Auf Gerwulfs Nachhaken, wann genau das denn geschah, überlegte der Zöllner eine lange Weile, die Kinder spielten inzwischen Nachlaufen um Gerwulfs Pferd. Dann fuhr er fort, nachdem der Koscher ihm ein paar Münzen hingeworfen hatte:
„Das muss auf jeden Fall eine Zeitlang vor dem höchsten Sonnenstand gestern gewesen sein, denn der Eintopf meiner Schwiegertochter war noch nicht fertig gekocht. Und wir essen, wie sich das gehört, immer so, dass wir mit dem Mittagsmahl fertig sind, bevor Praios’ Schild am höchsten steht. Ich wunderte mich schon, dass der Herr Baron so in Eile war, dass er nicht einmal vom Eintopf probieren wollte. Denn meine Schwiegertochter ist für ihren leckeren Eintopf in der ganzen Altenau bekannt.“
Schließlich ergänzte der Zöllner noch, nach ein paar weiteren Münzen:
„Herr, Seine Hochgeboren und seine Familie waren sehr in Eile. Hochgeboren Isida von Quakenbrück sprach zu einer der Mägde, dass auch sie hoffe, dass die Pferde den langen Ritt durchhalten würden. Aber man müsse unbedingt möglichst schnell bis zum anderen Ende der Opferschlucht gelangen. Erst dort sei man in Sicherheit.“
Der Zöllner schaute drein, als mache er sich selbst noch keinen Reim aus alledem.
Dann fragte er selbstsicher: „Herr, wünscht Ihr nun zu passieren? Zwei Kreuzer pro Bein, ob Mensch oder Tier. Und Ihr führt doch keine Handelswaren oder verbotene Dinge mit Euch, oder hegt gar finstere Gedanken?“
Gerwulf fluchte leise in sich hinein. Mit finsterer Miene drehte er sich zu den anderen Reitern um. Sein Finger schnellte vor und zeigte auf das jüngste Mitglied der Truppe.
„Erstatte dem Baron Bericht. Er soll Verstärkung schicken. Wir verfolgen die Hunde. Wenn sie entkommen können, wird dies ein langer Krieg werden.“
Ohne weitere Worte zu verlieren, bezahlte Gerwulf den Zoll und sprengte mit seinen Gefolgsleuten los. Wenn sie Angrond einholen könnten, wäre es noch nicht zu spät. Dann würden sie kämpfen (so das Zahlenverhältnis dies zuließ), und wenn Angrond am Ende tot oder gefangen war, hätten sie gewonnen, alles andere kam einer Niederlage gleich.