Ankunft in Moorbrück - Auf dem Damm

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1032 BF

„Burg Birkendamm is’ nich’ mehr weit.“
Alma, die voraus laufende Begleiterin aus Grantelweiher, reckte ihren Finger weiter der schmalen, aufgeweichten Dammstraße entlang. Sie zeigte ins Nichts. Dicker, weißgrauer Nebel umschloss die Umgebung, so dass man kaum fünfzig Schritt weit sehen konnte.
Schweigend ging es weiter, das unruhige Ross immer genau auf dem Pfad haltend, denn links und rechts lauerte bereits der gefahrvolle Sumpf. Wahrlich, den Namen Moorbrücks führte man im gesamten Kosch im Mund, wenn man einen besonders unwirtlichen Ort beschreiben sollte – doch es war etwas anderes, wenn man am gemütlichen Tisch bei Bier und Braten darüber spottete oder ihn selbst durchritt. Doch lag hier, inmitten von Schilf und Moor, auch eine Chance ... die Chance für einen Neuanfang.
Plötzlich blieb Alma wie angewurzelt stehen – ein grauer Umriss schälte sich aus dem Nebel – er glich auf den ersten Blick einer kleinen Hütte am Rand des Wegs, doch Alma schien sie nicht zu kennen.
„Verflucht!“
Ein zorniger Ruf drang von dem Ort und ließ die kundige Führerin nervös zusammenzucken. Auf den Fluch folgte unverständlich gemurmeltes Gezeter aus dem Nebel.
Reto brachte seinen Tralloper Riesen zum Stehen, das kleine grünweiße Banner an der Spitze seiner Kriegslanze hing schlapp herab. Sein Blick ging zur Seite zu seinem Freund Erborn, doch der alte Recke saß ganz gelassen, aber aufmerksam auf seinem Pferd. Reto gab Bruder Perainfried ein beruhigendes Handzeichen.
„Macht euch keine Sorgen, Bruder Perainfried, das wird sich sicher gleich klären. Keine Räuberbande wäre so dreist, eine so große Gruppe wie uns anzugreifen.“
Dabei wanderte seine Rechte zur Befestigungsschnalle seines Streitkolbens am Sattel seines Rosses und öffnete diese, damit der Kolben schnell zur Hand wäre.
„Es sind nicht Räuber, die uns am meisten Ärger bereiten, werter von Tarnelfurt!“, setzte Boromil vom Kargen Land unaufgefordert nach. Die leichte Gereiztheit in seiner Stimme hatte nichts mit der Bemerkung Retos zu tun; er war einfach nervös. Gleichzeitig schalt er sich selbst einen Narren, denn im Gegensatz zum Ritter von Tarnelfurt war er alleine angereist. Er hatte gedacht, alle sechs Adelssprösslinge sollten sich zunächst alleine mit Vogt Morwald Gerling besprechen.
„Das angebliche Ding im Sumpf ist es, was die Leute hier am meisten fürchten! Doch lebt es wohl kaum in einer Hütte, und das Geschimpfe stammt vielmehr von einem Normalsterblichen.“
Betont unbeeindruckt drehte er sich zu den anderen herum.
„Was meint Ihr? Waffen ziehen oder erst einmal fragen, wer das ist und was da los ist? Also, ich bin für letzteres.“
"Wenn ihr meint, werte Herren Ritter", drang die Stimme Rainfrieds durch den Nebel, gefolgt vom Knarren des Fuhrwagens, als dieser auf einen Wink des Ritters von Grimsau hin stehen blieb.
"Gehen wir dieser Clamore doch auf den Grund."
Nach einem Blick zu seinen beiden Begleiterinnen, die ebenfalls ihre Pferde zum Stehen gebracht hatten, und diese mit sanftem Zureden zu beruhigen suchten, lenkte er seinen Yaquirtaler in Rufweite zur Hütte.
"Heda, Travia zum Gruße. Was gibt es zu fluchen?"
Mit lauter, aber leicht zittriger Stimme rief er die Worte in den Nebel.
Das leise Gezeter verebbte. Aus der Richtung des schemenhaften Schattens drang stattdessen ein kurzer Schrei des Schreckens, gefolgt von einem Ruf: „Wer da?! Nennt mir euren Namen!“
„Ritter Reto von Tarnelfurt, Ritter Rainfried von Grimsau, Ritter Edelbrecht von Borking und Ritter Boromil vom Kargen Land, Vasallen des Vogts Morwald Gerling, und ihre Begleiter!“ rief Boromil mit fester Stimme. Das war kein Geist – nun galt es den eigenen Stand klar zu zeigen.
„Ihr seid Ritter der Baronie Moorbrück? Wie kommt es, dass ich Eure Namen noch nie gehört habe?“, antwortete die Stimme mit einer gehörigen Portion Skepsis.
„Weil wir neu sind und gerade erst nach Moorbrück gezogen sind! Der Vogt hat uns im Namen des Fürsten geholt. Also zeig Dich nun, wenn Du zwölfgöttergläubig bist!“
Boromil glaubte nicht an eine Gefahr, aber er war des Versteckspiels überdrüssig. Er hatte dem anderen eine Gelegenheit gegeben, sich zu zeigen. Aus den Schwaden schälte sich die Gestalt eines Torfstechers.
Bolzer Spatenschwingh! Was machst Du denn hier? Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!“, rief Alma nun gleichzeitig erleichtert und verwundert.
Reto kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, was sich da für ein Gebilde hinter diesem Mann verbarg. Vielleicht ein Kastenwagen, der vom Weg abgekommen war?
„Pst, Erborn, kannst du erkennen, was das da am Straßenrand ist?“, fragte Reto leise seinen Begleiter und schloss wieder die Befestigungsschnalle seines Streitkolbens.
Bolzer, ein etwas buckliger Gesell mit eingefallenen Wangen und einem aschgrauen Bart, näherte sich schlurfend Alma und ihrer ritterlichen Begleitung. Als er sie gemustert hatte, verzog sich sein Gesicht zu einem zahnlückigen Grinsen. Laut rief er über seine Schulter in Richtung des grauen Schattens:
„Is’ alles in Ordnung, Herr – das sind die Ritter, von denen Ihr gesprochen habt!“
Ein erleichtertes Seufzen war zu hören, dann ein leises und kurz gemurmeltes:
„Na, das erste Treffen war nun wahrlich anders geplant. Was soll’s...“, bevor sich die Kontur einer kleinen, kugelrunden Gestalt im Nebel abzeichnete. Seine spärlichen Haare klebten an seiner Stirn, flüchtig streifte er etwas Dreck von seinem verzierten Umhang – seine Arme waren weit ausgebreitet. Tapfer versuchte er, ein möglichst gewinnendes Lächeln zu zeigen, wenngleich die Zornesröte noch immer in seinem Gesicht stand.
„Ihr kommt wie gerufen. Ausgerechnet jetzt, knapp vor Birkendamm, fährt mir meine Kutsche mitten in den Morast. Darf ich mich denjenigen, die mich noch nicht kennen, vorstellen ... mein Name ist Morwald Gerling, meines Zeichens Vogt von Moorbrück. Ich schätze, wir werden in Zukunft öfter miteinander zu tun bekommen.“
Also doch ein Wagen, dachte sich Reto.
„Die Zwölfe zum Gruße, Vogt Gerling, habt Ihr ein schweres Tau auf eurer Kutsche? Kräftig anpacken kann Jolande, allein ohne ein Tau wird uns das wenig nützen.“
Dabei ritt Reto gemächlich nach vorne zum Vogt und tätschelte dem Pferd aufmunternd den Hals.
Devota ... kümmert Euch um das Tau ... !“, der Befehl galt offenbar einer graublonden Kutscherin, die vom Bock sprang und begann, die Kutsche nach einem Seil zu untersuchen.
„Nun sagt uns, Hochgeboren“, hob Edelbrecht von Borking mit einem (zu starken?) Hauch von Sarkasmus zu sprechen an, wobei er sich betont im Hintergrund hiel, während die anderen zu ersten Rettungsmaßnahmen schritten, „wenn Ihr bereits mit der Nase im Dreck liegt, habt Ihr das Ding aus dem Sumpf schon gefunden, von dem Gefährte Boromil vom Kargen Land gerade zu sprechen geruhte?“
Vogt Morwalds Augen weiteten sich einen Moment und starrten den jungen Borkinger an. Der Jüngling richtete sich im Sattel seines edlen Rosses auf und sah sich Beifall heischend um. Auf der kurzen Reise hatte niemand den Spross des Hauses Borking bislang so erlebt – es schien, als empfinde er schon jetzt eine tiefe Abneigung gegenüber dem Vogt. Lag sie vielleicht darin begründet, dass der runde kahlköpfige Mann das genaue Gegenteil Edelbrechts darstellte, der den Vogt sicherlich mit seinen annähernd zwei Schritt Körperlänge um knapp zwei Köpfe überragte?
"Vielleicht könnte auch mein Wagen helfen, Eure Kutsche aus der Miseria zu ziehen, Vogt Gerling? Gonzalo, helfe er doch dem Vogt! Etwas Seil sollte doch verfügbar sein. Aber passe er auf die Ladung auf!"
Missmutig griff der angesprochene Mann auf dem Kutschbock des Fuhrwagens hinter sich, um mit einem 2 Schritt langen Seil abzusteigen.
"Und Ihr, Wohlgeboren von Borking, solltet vorsichtig sein, was ihr Euch wünscht! Ich für meinen Teil würde es vorziehen, lebend und in einem Stück an unserer Destino anzukommen, und nicht von einem Ding aus dem Sumpf verspeist zu werden."
Gonzalo befestigte derweil das Seil mit Hilfe Bolzers und der erleichtert wirkenden Devota an der Deichsel der Kutsche.
Rainfrieds leicht schuldbewusster Blick wanderte zu seiner Begleitung, einer jungen schwarzhaarigen Frau, die unpassend für das kalte Klima gekleidet schien in ihren dünnen roten Gewändern, nur einen wärmender Mantel über den Schultern.
"Wahrlich, ich hatte mir Moorbrück etwas anders vorgestellt, meine teure Madalein."
"Rahjas Wege sind vielfach, Rainfried", antwortete diese lächelnd. "Geschätzter Ritter von Tarnelfurt, würdet Ihr bitte Euer Cavallo zur Verfügung stellen, damit der gute Vogt und damit auch wir weiterreisen können? Es ist doch empfindlich kalt geworden."
Unterdessen war Boromil abgestiegen und hatte freundlich die Hand des Vogt geschüttelt, den er vor ein paar Tagen kennengelernt hatte.
„Tja, Herr Gerling, ich hätte Euch auch lieber in der Burg wiedergesehen als hier draußen! Aber wenn wir zusammenarbeiten wollen, können wir ja gleich hier anfangen.“
Dann bemühte er sich, gemeinsam mit Reto von Tarnelfurt ihre Pferde zu befestigen, damit diese mit den Rössern der Kutsche den Wagen aus dem Morast ziehen konnten. Während Retos Tralloper Riese als geborenes Schlachtross und Lastpferd hervorragend dafür geeignet war, musste Boromil seinem Reitpferd gut zureden, damit es für die ungewohnte Aufgabe ruhig blieb. Erneut musterte er erstaunt die Kutsche, deren Abteil im Nebel tatsächlich verblüffend einer kleinen Hütte glich. Wie man sich doch täuschen konnte...
Vogt Morwald Gerling war sichtlich froh, dass das Thema vom Ding im Sumpf wieder auf die Kutsche geschwenkt war. Auch wenn er sich darum bemühte, dass man es nicht allzu sehr bemerkte ... schon bei der Erwähnung dieser Kreatur zog ein kalter Schauer über seinen Rücken. Auch um sich selbst abzulenken, packte er nun selbst an ... jedenfalls lehnte er sich etwas an die Kutsche, die, von der vereinten Kraft der Rösser gezogen, endlich wieder in Bewegung geriet. Wie dicker Brei hing der schwarze Morast an den Rädern, als das verzierte Gefährt wieder zäh auf den Damm rollte.
„Habt Dank, werte Ritter ... sehen wir es als gutes Beispiel dafür, dass dieser elende Sumpf zu besiegen ist, wenn wir zusammenarbeiten! Doch nun auf zur Burg Birkendamm. Sie kann nicht mehr weit sein.“