Wenn Roban eine Reise tut 1 - ein Abschied, eine Ankunft

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Rittergut Hohenbirn im Schetzeneck, im Peraine 1034 BF

„Zum Donner noch eins, nun trödelt nicht herum! Wir wollen noch vor dem Winter in Eisenhuett sein!“
Das Antlitz des Grimwulf Grobhand von Koschtal zeigte schon seit dem Morgengrauen eine ungesunde Röte. Seit fast einem ganzen Jahr war er jetzt Baron von Roterz, eine Aufgabe, die dem Mann über sechzig mehr zusetzte, als er sich selbst eingestehen wollte. Und jetzt endlich den eigenen Hausstand samt Ehegattin vom Schetzeneck in die Ambossberge bringen zu müssen, belastete sein Gemüt zusätzlich.
Seit Tagen trieb er seine Bediensteten an, um alles, was man in die neue Heimat mitzunehmen gedachte, auf die drei Fuhrwerke zu verladen, und zwar so, dass auch wirklich jedes einzelne Stück heil und unversehrt die lange Reise überstehen würde.
„Bitte beruhige dich, Wulf“, mahnte die Herrin des Hauses, Idumelda von den Silberfällen, nicht zum ersten Mal in dieser Zeit. Und ebenfalls nicht zum ersten Mal murmelte Grimwulf ein „Sicher, Idu, mache ich“, um nur Sekunden später schon wieder einen der seiner Meinung nach tollpatschigen und unfähigen Helfer lautstark anzufahren.
Doch schließlich, nach einer ihm ewig scheinenden Zeit, war alles verladen, verzurrt und verstaut. Grimwulf wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn und blickte von der Anhöhe hinab auf den Weg, der zum Rittergut führte. So weit war wohl alles vorhanden, doch eines fehlte ihm noch.
„Wo bleibt der Bursche bloß?“ murmelte er ärgerlich. Schon vor einiger Zeit hatte er seinem jüngsten Sohn geschrieben, damit auch dieser sich endlich mal in Roterz sehen ließ – immerhin verdankte er es Robans unermüdlichem Einsatz bei der Moorbrücker Neusiedlung, dass er sich überhaupt Baron von Roterz nennen durfte!
Aber von Roban war nichts zu sehen, weder auf dem Weg noch auf der Straße Richtung Koschtal. Die Depesche war zeitig abgesandt und der Empfang durch Roban bestätigt worden, und eigentlich passte Unpünktlichkeit – trotz aller anderen Defizite in punkto Verhalten – nicht unbedingt zu Grimwulfs Jüngstem.
Für einen Moment stahl sich Sorge in Grimwulfs Gedanken, doch dann wischte er sie mit einer ärgerlichen Handbewegung weg und stapfte zurück zu den Wagen. Wenn er überhaupt einem seiner Kinder zutraute, lebend und unversehrt durch den Kosch zu reisen, dann Roban – der würde im Zweifel wohl alles totschlagen, was sich ihm in den Weg stellte.
Vier Waffenknechte, in Eisenhuett angeworben, standen noch müssig dort herum. Sie stammten aus Almada und hatten ihr Engagement mit dem Tod des falschen Kaisers Selindian Hal wohl verloren. Ihr Pech war Grimwulfs Glück gewesen, hatte er sie für einen anständigen Preis in Eisenhuett als Bedeckung anwerben können. Das Roterzer Waffenvolk hatte er hierfür nicht einspannen wollen, der Schutz des Passes schien ihm, die Rückkehr der Almadaner ins Reich hin oder her, doch wichtiger als die Sicherheit seiner privaten Güter.
„Wir brechen auf“, befahl er den Südländern, die kurz nickten.
„Warten wir nicht auf Roban?“ fragte seine Gattin ihn überrascht.
„Wir sind ohnehin schon zu spät, Idu“, erwiderte er sanft. „Ein paar Tage werden wir bis Roterz wohl unterwegs sein, und wenn Roban auf dem Weg ist, wird er uns schon einholen, früher oder später. Du kennst den Jungen – wenn er sich mal was in den Kopf gesetzt hat, braucht es schon ein Machtwort der Götter oder zumindest eine kleine Armee, um ihn davon abzuhalten.“
Grimwulf schenkte seiner Idumelda ein zuversichtliches Lächeln. Sie schlug kurz die Augen nieder, ebenso bezaubernd, wie sie es schon vor vierzig Sommern getan hatte, und nickte verstehend.
„Dann lass uns Abschied nehmen“, seufzte sie ergeben. Der Abschied von Hohenbirn, dass ihr so lang Heimstatt gewesen war, fiel ihr nicht leicht, doch auf Dauer von Grimwulf getrennt zu sein, schien ihr noch schwerer.
So wandten sie sich noch ein letztes Mal zur Pforte des Hauses, wo die neue Herrin von Hohenbirn wartete. Ingrild, seine älteste Tochter, würde von heute an auf dem Rittergut das Regiment führen, gemeinsam mit ihrem Mann Andromir.
Trotz des zu erwartenden Abschiedes lächelten die beiden breit, als Grimwulf und Idumelda vor sie traten.
„Was grinst ihr zwei denn so?“ fragte Grimwulf, als er die strahlenden Gesichter sah.
„Freut ihr euch so sehr, uns los zu sein?“
„Das nicht, Vater“, erwiderte Ingrild und schien ein wenig mit den Tränen zu kämpfen.
„Aber ehe ihr uns verlasst, müssen wir euch noch etwas mitteilen!“
Bald darauf erklang ein kurzer, aber sehr freudiger und ebenso lauter Ruf über die Anhöhe, und ließ einige Vögel erschrocken auffliegen.

Eine ziemlich abgerissene Gestalt schleppte sich im Moorbrückschen auf die Siedlung Neuvaloor zu.
Roban war nie ein Freund feiner Garderobe gewesen, und ein Fleck auf der Hose schändete auch nicht, doch sogar für seine Verhältnisse wirkte er arg zerlumpt.
Langsam trottete seine Girte hinter ihm her, die kaum besser aussah als ihr Herr. Zwei ziemlich anstrengende Tage und ein ganzer Haufen unfreiwilliger Umwege lagen hinter ihnen. Angefangen hatte alles mit einer Begegnung im Sumpf, mit alten Bekannten. Zumindest konnte Roban das Sumpfranzen-Rudel allmählich so bezeichnen, und er hätte Stein und Bein geschworen, dass das Leittier etwas gegen ihn persönlich hatte.
Den ersten Angriff hatte er abwehren können, und das Rudel hatte ein weiteres Mitglied eingebüsst, aber das hatte die elenden Viecher nicht davon abgehalten, ihm für den Rest des Tages und noch die gesamte Nacht zu folgen.
Irgendetwas hatte sie dann aber von der weiteren Verfolgung abgebracht. Roban wusste nicht, was dieses Etwas gewesen sein mochte, aber er wollte es eigentlich auch gar nicht wissen.
Das schwere Gelände hatte er nur mit mehr Glück als Verstand hinter sich gebracht. Entgegen vieler Gerüchte konnte er zweiteres durchaus benutzen und konnte mittlerweile auch schon so einiges aus der Beschaffenheit der Oberfläche und der Pflanzen darauf ableiten. Das jahrelang geschulte Gespür eines Bolzer Spatenschwingh hatte er selbstredend nicht, und so sahen seine Beinkleider mittlerweile auch aus.
Nach zwei schlaflosen Nächten fehlte ihm sogar die Kraft, um anständig zu fluchen, als ihm die ersten Bewohner von Neuvaloor entgegen liefen. Wenn diese Reise dermassen schlecht weiter ging, würde er Hohenbirn erst im nächsten Frühjahr erreichen...