Unter dem Schleier - Verschwiegene Wahrheit

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Burg Rabenwacht, 27. Ingerimm 1042

Leise betrat Líadáin ni Rían die kleine Kapelle von Burg Rabenwacht. Noch leiser schloss sie die Tür hinter sich. In einer Nische saß ihre Schwester Eira. Der Oberkörper der Junkerin ruhte auf der Deckplatte eines steinernen Sarges.

Langsam trat sie an sie heran. Eira ni Rían blickte kurz zu ihr auf, schloss ihre Augen sogleich wieder, bettete ihren Kopf zurück und sagte leise: „Geh!“

„Das geht nicht“, erwiderte sie mit sanfter Stimme und schluckte schwer. Eine andere Reaktion hatte sie nicht erwartet.

„Doch“, stellte die Junkerin klar und sog scharf die Luft ein, „Es geht. Und es ist ganz einfach: Dieselbe Tür, durch die Du hereingekommen bist, führt auch wieder hinaus. Schließe sie einfach von außen und verschwinde.“

Líadáin atmete tief durch: „Ich muss mit Dir reden, blutige Distel.“

„Ich aber nicht mit Dir!“, verweigerte sich Eira da.

„Lange genug hab ich geschwiegen...“

„Und das wirst Du auch weiter. Das ist meine Burg und ich sage Dir jetzt“, sie hob ihren Kopf und schaute ihre Schwester mit zornfunkelnden Augen an, „Verschwinde!“

„Dann fürchte ich, musst Du mich schon höchstpersönlich aus dem Krähennest schleifen...“

Da stand die Ritterin abrupt auf und trat wütend auf ihre Schwester zu: „Nicht einmal im Tod könnt ihr sie mir lassen.“

Die Geweihte machte einige Schritte zurück und nahm eine abwehrende Haltung ein: „Niemand will sie Dir wegnehmen.“

„Ja, das habt ihr ja auch schon geschafft“, noch immer kam sie auf ihre Schwester zu, packte sie, legte ihre Hände um ihren Hals und zischte: „Damals. Damals als sie noch gelebt hat. Da habt ihr sie mir ja schon weggenommen. Aber jetzt... jetzt schafft Ihr das nicht!“

„Ich hab sie Dir zurückgebracht“, versuchte sie die aufgebrachte Junkerin zu beruhigen, „Erinnerst Du Dich nicht?“

„Ja, tot. Verstehst Du? TOT!“

Sie nickte: „Ja, ja, ich... ich verstehe Dich. Sehr gut sogar. Aber... aber... Ich habe alles versucht, Eira. Wirklich alles, aber ich habe sie nicht retten können...“

„Tod. Verbrannt. Bis zur Unkenntlichkeit. Ich konnte sie nicht noch einmal sehen...“, da ließ sie ihre Schwester los. Líadáin fiel zu Boden. Sie keuchte. „Ich konnte mich nicht einmal“, wisperte die Junkerin, „Nicht einmal von ihr verabschieden...“

Noch immer keuchend setzte sich die Geweihte auf und erwiderte: „Ich weiß, blutige Distel, ich weiß. Ich habe gekämpft. Um ihr Leben. Aber... aber ich konnte nichts tun... gar nichts...“

In Eiras Augen glitzerten Tränen: „Ihr wart von Anfang an gegen... gegen UNS. Von Anfang an...“ Damit ging die Junkerin zurück an den steinernen Sarg und begann bitterlich zu weinen.

Líadáin lehnte sich an eine Wand, noch immer spürte sie die Hände ihrer Schwester um ihre Kehle. Wie gerne sie ihr das Folgende erspart hätte...