Unter Schurken - Nachtquartier

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Hinterkosch, 1021

“Es ist wahr, zuerst war ich sehr unglücklich über meine Knechtschaft im fernen Ferdok, doch nun ist die Burg des guten Grafen Growin zu meiner Herzensheimat geworden – zumal das Heim meiner Eltern wohl für immer verloren ist.“
Rena war in melancholische Stimmung versunken. Es tat gut, endlich ihre Seele von all den Belastungen der letzten Zeiten zu befreien, zu viel war über sie hereingebrochen. Wie heilsam waren da die sanften Weisen des Edlen von Toroschs Aue, welcher zu jeder Stimmung den passenden Trost zu finden schien – ja gerade so, als würde er für sie immerzu neue Verse erblühen lassen. Gerade hob er zu einer neuen Melodie an, als das reitende Paar aus ihrem Zwiegespräch gerissen wurde.
Ein leiser Pfiff des Kutschers Norbosch zeigte das langersehnte Erscheinen einer Ortschaft an. So alt der alte Fuhrmann sein mochte, seine Augen schienen noch immer scharf wie die des Bussards zu sein, der vor einigen Stunden über den Reisenden kreiste. Bleiche Lichter schienen mit jedem Hufschlag zu wachsen, nur wenige Bewohner des kleinen Ortes Mühlenheim schienen noch wach zu sein. Dennoch, Onkelchen Phex war den müden Reisenden hold, denn ein verwittertes Schild mit Mühlrad und Gans zeugte von einem bescheidenen Gasthaus. Weiterzufahren wäre ohnehin sinnlos gewesen, denn der Weg zum eigentlichen Tagesziel Twergenhausen am Großen Fluß (in welchem man schon bei der Anreise aus Weidleth genächtigt hatte) war in der hereingebrochenen Nacht viel zu lange und gefährlich – der Vorfall mit dem Bierkutscher (dem Schurken!) hatte kostbare Zeit gekostet. Albenhus, wo der Bierhändler das falsche Ferdoker gekauft haben wollte, würde man ohnehin nicht vor morgen abend erreichen.
Dummerweise war ausgerechnet das Gasthaus eine jener Hütten, deren Fenster keinen Kerzenschein mehr nach außen gaben. Erst ein wenig gnädiger Ruf von Waffenmeister Dragosch ließ ein schwaches Flämmchen erscheinen, welches das grimmige Gesicht einer dicken Frau erhellte.
"Was wollt ihr Fremdlinge zu dieser namenlosen Zeit denn noch?“
“Was werden müde Reisende schon wollen, ein Quartier für die Nacht!“
“Unsere Zimmer sind alle belegt!“
Dragoschs Geduld spannte sich wie der Dukatenbeutel der Stippwitzens am Markttag.
“Nun hör mal, Gnädigste, hier stehen der Baron von Vinansamt und mehrere weitere edle Recken aus dem Koscherland und bieten gute Münzen für gute Betten!!!“
Zwar hatte sich die Miene der Wirtin bei der Nennung des “Koscherlandes“ kurz etwas verfinstert, doch stapfte sie nun gemächlich die knarrenden Stufen hinab, um den Herrschaften die Tür zu öffnen. In offensichtlich aufgesetzter Freundlichkeit gab sich die Frau nun zu erkennen.
“Mein Name ist Birselinde, seid willkommen in der ‚Müllersstube‘, dem besten Ruheort in Dohlenfelde, dem einzigen weit und breit – zwar sind alle sechs Schlafstätten derzeit von Wanderern belegt, doch wenn ihr diese Betten für Euch beanspruchen wollt, steht es Euch frei, dies jenen Herrschaften, Ulfried aus Jergansquell heißt der eine, glaub‘ ich, klarzumachen – ich werde mich da jedenfalls heraushalten...“
“Jergenquell?!“
Größer hätte die Überraschung der Koscher wahrlich nicht sein können. Die Hand der Ritterin fuhr zum Schwert, der Spielmann pfiff durch die Zähne, und auch der Siebentaler stieß einen Laut des Erkennens aus.
“Jergenpelle – wenn so nicht der Tolpatsch hieß, der damals im 17er Jahr dem guten Polter von Stielzdings beim Fürstenbankett die Bratensoße übers Wams kippte!“
Merwerd Stoia bedeutete seinen Gefährten mit einer raschen Handbewegung zu schweigen. Äußerlich hatte er keine besondere Reaktion gezeigt, innerlich aber wogten Anspannung und Ehrgeiz ineinander, über die sich nur langsam der Mantel des planvollen Handelns breitete. Über die Überraschung selbst nachzudenken, hatte er sich kaum gestattet, eher schon darüber, ob sie nicht doch einem Mißverständnis aufsaßen – ausgerechnet hier, im Nordmärkischen, auf den meistgesuchtesten Schurken des Kosch zu treffen, sollte das mit den Göttern zugehen? Aber Merwerd hatte auf seinen Reisen schon merkwürdigere Zufälle erlebt und war fest entschlossen, diesen zu nutzen.
“Wir gehen herein“, entschied er. “Ihr, Meister Dragosch, verteilt unsere Leute und seht zu, daß niemand heraus kommt, phexbewahre. Woll’n doch mal sehen, ob’s wirklich der Jergenquell ist.“
“Die Herrschaften kennen sich? Eure Freunde …“, suchte die Wirtin mit eilfertiger Stimme herauszufinden, während die Schweinsäuglein im feisten Gesicht vor Neugierde blitzten. Aber der Baron von Vinansamt schnitt ihr das Wort ab:
“Mag sein, gute Frau, daß es Freunde von uns sind. Wir wollen sehen.“
Mit einem souveränen Lächeln drängte der Baron sich an ihr vorbei ins Haus. Die anderen koscher Adeligen folgten.
Merwerd verfluchte, nicht wie in den alten Tagen einen starken Mann fürs Grobe an der Seite zu haben, der die lästige Wirtin für eine Weile aus dem Weg schaffen würde; dann sah er, daß Ritter Falk das Problem bereits auf seine Weise gelöst hatte. Beim Eintreteten hatte der immer noch leicht schwankende Ritter der Hausherrin versehentlich die schwere Tür vor den Kopf geschlagen, worauf diese mit einem leichten Seufzen zu Boden sackte. Damit schwand auch das Licht.
“Die Lampe!“
Gleichzeitig bückten sich Rena und Wolfhardt nach der Laterne, die aus der Hand der bewußtlosen Wirtin geglitten war, bevor sie das Fachwerk in Brand setzten konnte.