Dohlenfelder Thronfolgestreit - Chaostage in Twergenhausen I

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Texte der Hauptreihe:
K28. Sieg
K95. Kajax
F25. Epilog

Nordmarken, 1033

Burg Dohlenhorst, am Morgen des 29. Praios
Roklan von Leihenhof war am frühen Morgen von seiner Schwester Ansoalda geweckt worden. Diese berichtete ihm, dass Ritter Lindos Tsasind von Lilienthal, Vasall der Baronin zu Gernebruch, vom freiherrlichen Zöllner an der Pervalsbrücke am Darlinufer gefunden worden sei. In der Nacht vom 28. auf den 29. Praios sei auf einmal großer Alarm in Twergenhausen gegeben worden, bald darauf waren Reiter der Flussgarde und auch der Stadtwehr unterwegs. Ansoalda wurde hellhörig, war sie doch unterrichtet worden, dass am Nachmittag und Abend des 28. Praios eine Magistratssitzung angesetzt war, bei der das weitere Vorgehen beraten werden sollte, nachdem die horasischen Söldner zuvor Burg Schwarzfels eingenommen hatten.
Wie auch immer, eine Streife der Flussgarde unterrichtete den Zöllner, er möge sich umgehend mit auf die Suche machen. Man verfolge eine Frau und drei Männer, die höchstwahrscheinlich einen gefesselten Mann mit sich führten. Es sei davon auszugehen, dass sie sich der besseren Fluchtmöglichkeit wegen aufgeteilt hätten - auf jeden Fall seien die vier gefährlich, sie hätten bereits mehrere Stadtbewohner auf ihrem Gewissen. Sollte der Zöllner etwas Auffälliges bemerken, solle er umgehend der nächsten Streife Bescheid geben, selbst aber den Mördern fernbleiben. Der brave Zöllner, der sich natürlich nichts von Herzoglichen oder Städtern befehlen lasse, habe sich dennoch aus schierer Neugier mit seinen beiden Töchtern auf die Suche gemacht, kannte er doch das Ufer so gut wie kein anderer. Und schon nach wenigen Minuten fanden die drei tatsächlich einen Mann an der Uferböschung: Er hatte eine klaffende Schnittwunde an der Schulter und einen Armbrustbolzen im Rücken, war ohnmächtig, hatte viel Blut verloren und zudem fast ertrunken. Normalerweise hätte der Zöllner ihn auf seinen Eselskarren gepackt und zum Siechenhaus am anderen Darlinufer gebracht, doch wollte er nicht der Flussgarde über den Weg laufen. So versorgte er die Verletzungen notdürtig und machte sich bald nach Sonnenaufgang auf den Weg auf die Burg Dohlenhorst. Dort wurde ihm von der Torwache umgehend Einlass gewährt. Baronin Ansoalda war wie immer früh auf den Beinen und erkannte in dem Verletzten sofort Ritter Lindos von Lilienthal, einen Parteigänger Angronds. Sie ließ ihn unter Bewachung in das Turmzimmer bringen und sandte den Feldscher, Lindos' Verletzungen zu versorgen und ihm etwas gegen die Schmerzen zu geben. Der Heilkundige war erstaunt, dass der Ritter überhaupt noch lebte. Er habe sehr viel Blut verloren. Dann weckte Ansoalda ihren Bruder Roklan, mit dem sie Lindos etwa zwei Stunden nach dessen Eintreffen auf der Burg nun gemeinsam einen Besuch abstattete. Der Feldscher flößte dem Ritter einen Aufguss aus Gulmondblättern und Yagannuss ein, um ihn aufzuwecken. Das Mittelchen schien zu wirken. Der Ritter öffnete die Augen, sah sich um, erblickte die beiden Geschwister.
Ansoalda hatte zuvor ihrem Bruder ein Schreiben des Magistrats Twergenhausens gereicht, das weiteres Licht auf die nächtlichen Zwischenfälle in der Herzogenstadt warf. Das Schreiben, gesiegelt vom Gerichtsherrn der Stadt, Emmeranus Wladjeff, und überbracht von einem berittenen Boten, lautete:

An Seine Hochgeboren Hagen von Salmingen-Sturmfels, Baron zu Dunkelforst, Baruns Pappel und Dohlenfelde, gegeben zur morgendlichen Tsastunde am 29. Tage des Praios im Jahre 1029 nach Bosparans Fall

Euer Hochgeboren, im Namen des Magistrats der Herzogenstadt Twergenhausen und als erster Stellvertreter des Geehrtesten Ratsherrn Perval Aurentian Bosper Gliependiek teile ich Euch folgendes mit: Es ist furchtbares geschehen! In einem Akt geradezu thorwalscher Barbarei mordete eine kleine Gruppe von etwa einem halben Dutzend Fremden gestern zur späten Abendstunde den Leibwächter unseres geehrtesten Bürgermeisters Perval Aurentian Bosper Gliependiek und überwältigte danach den Bürgermeister höchstselbst mit brutaler Gewalt. Sie verschleppten ihn aus dem Hinterausgang des Ratskellers und quer durch die Stadt, griffen die Wache am Tor der Gänsezunft an, töteten einen Bäckersgesellen, verletzten einen Küfersgesellen schwer und flohen. Alarm war da schon gegeben, doch wenig wusste man. Die Stadtwehr wurde mobilisiert, die Flussgarde rückte aus der Hafengarnison aus, die Soldaten des Regiments Ingerimms Hammer stellten Gefechtsbereitschaft her. Ein Trupp herzoglicher Reiter verfolgte die Entführer am Darlinufer und stellte diese, als sie durch den Fluss entkommen wollten. Es kam erneut zum Gefecht, ein Flussgardist starb in treuer Pflichterfüllung den Heldentod. So gelang vermutlich den mörderischen Entführern mit ihrem Opfer die Flucht. Alle Suchbemühungen blieben bisher erfolglos.
Zwei der Entführer wurden auf der Flucht im Kampf getötet. Als Stadtfremde konnten sie nicht identifiziert werden. Noch auf der Flucht befinden sich laut Aussage einer Augenzeugin eine Frau und drei Männer, die unseren Bürgermeister mit sich schleppten. Alle trugen dunkle Mäntel, bewaffnet mit Klingenwaffen, ansonsten nichts Auffälliges. Einer der Männer, wohl der Anführer, schien ein rechter Hüne zu sein.
Wir bitten Euch, Euer Hochgeboren, im Namen Seiner Hoheit Jast Gorsam Großen Fluss, dem gnädigen Herrn der Stadt Twergenhausen, Euch mit allen Euren Möglichkeiten an der Suche nach den Verbrechern zu beteiligen und sie möglichst lebend dem Stadt- und Marktgericht Twergenhausens zu übergeben. Das Leben des Geehrtesten Ratsherrn Perval Aurentian Bosper Gliependiek genießt jedoch höchste Priorität. Der Dank der Stadt wird groß sein, seid Euch dem gewiss!
Eine Sache wäre aber noch zu klären: Eine kleine Gruppe bewaffneter Stadtfremder versuchte, die Entführung Perval Gliependieks im letzten Moment zu verhindern, wobei ein Mann sein Leben ließ. Die Fremden wurden dann jedoch aufgrund eines Missverständnisses von der Nachtwache
Twergenhausens überwältigt und arretiert - am exakten Ort der Entführung des Bürgermeisters. Im Verhör gaben die Fremden zu verstehen, dass sie über Mittelsmänner angeheuert worden waren, um ein Auge auf die Geschehnisse in Twergenhausen zu haben und notfalls helfend einzugreifen. Zu berichten hätten sie an einen gewissen Koscher Adligen namens Eberhard von Vardock - der, wie dem Magistrat bekannt ist, als Söldnerführer in Euren Diensten steht. Einer der Fremden mutmaßte zudem, dass Eure geschätzte Mutter, Ihre Hochgeboren Frylinde von Salmingen, die eigentliche Auftraggeberin sein könnte.
Ich verlange hiermit eine gute Erklärung: Was veranlasst Euch oder einen Eurer Untergebenen, bewaffnete Fremde zu welchem hehren Zweck auch immer nach Twergenhausen zu schicken, ohne den Magistrat darüber zu unterrichten und um Erlaubnis zu fragen? Die Fremden befinden sich bis zur genauen Klärung der Umstände im Kerker, Anklage wurde aufgrund der vordergründig guten Absichten noch nicht erhoben. Ich entbiete Euch die besten Grüße und wünsche Euch Praios' Segen Emmeranus Eborëus Elgor Wladjeff, Patriarch des Patrizierhauses Wladjeff, Ratsherr und Gerichtsherr Twergenhausens

PS: Zum Fall Schwarzfels fasste der Magistrat am gestrigen Abend zwar einen Entschluss, der jedoch in Abwesenheit des Bürgermeisters nicht rechtskräftig ist und deshalb auch, gemäß der Geschäftsordnung des Magistrats, nicht veröffentlich werden darf. Ihr werdet zu gegebener Zeit informiert werden.
Ansoalda fragte sich, während sie Lindos von Lilienthal ansah, was das alles zu bedeuten hatte. Was geschah hier, und wer steckte hinter alldem? Ach, wäre Hagen nur hier! Sofort hatte sie sich mit ihrem Bruder zurückgezogen und eine erste eilige Antwort an den Magistrat verfasst. Sie durften nicht den Eindruck erwecken, dass Hagen nicht anwesend war – sie durften sich aber auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, zu undurchsichtige Lügengespinste weben, damit sie später nicht strauchelten.
An den Magistrat der Herzogenstadt Twergenhausen, vertreten durch Emmeranus Eborëus Elgor Wladjeff, Patriarch des Patrizierhauses Wladjeff, Ratsherr und Gerichtsherr Twergenhausens, gegeben von eigener Hand am 29. Tage im Mond des Praios im Jahre 1029 nach dem Falle Bosparans Die Götter zum Gruße, ehrenwerter Magistrat Twergenhausens, mit Schrecken vernahmen Wir von den Vorfällen in Twergenhausen und bedanken Uns für Eure eilige Nachricht. Wir versichern Euch, dass Wir Uns um die Aufklärung der Vorfälle bemühen werden. Ihr werdet weitere Nachricht erhalten, sobald Wir mehr Erkenntnisse gewonnen haben. Mögen die Götter Euch gewogen sein!
Gez. Ansoalda von Leihenhof, Baronin zu Dohlenfelde, Dunkelforst und Baruns Pappel
Sie siegelte das Schreiben noch mit Wachs und dem Zeichen der Baronin – ein Schmuckring mit dem ihr gebührenden Wappen. Die beiden Geschwister, welche sich vordem fremd, nun durch die Ereignisse enger zusammen gewachsen waren, waren übereingekommen, kein Wort über Hagen zu verlieren. Dass der Baron zwischenzeitlich wegen zu führender Feldzüge auch einmal abwesend sein konnte – nun, sie erwarteten nicht, dass der Magistrat großartig auf etwaige Missstände eingehen würde. Und wenn, dann würde er genau dies als Antwort erhalten.
Erst einmal nun mussten sie ein Gespräch führen, ein dringend notwendiges Gespräch. Und zwar zuerst mit Alvide von Eichental! Sie mussten und sie würden ihr berichten, was genau Eberhelm von Vardock mit dieser ganzen Sache zu tun hatte. Roklan schaute seiner Schwester in die Augen – und erkannte jene kalte, von Entschlossenheit begleiteter Wut in ihnen aufsteigen, die auch seinen Vater auszeichnete…