Die Zweite Neufarnhainer Tafel - Soll Rettung kommen...

Aus KoschWiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen


1033, Neufarnhain

Weitere bange Momente verstrichen außerhalb des Kreises, und eben, als Etosch sich anschickte etwas zu sagen, hörten die Zurückgebliebenen auch Olgosch schreien – kein Laut des Schmerzes oder der Überraschung, sondern des schieren Entsetzens.
Ogerschiss, verdammter!” fluchte Roban. ”Da stimmt doch was nicht!”
Auch er schickte sich an, Edelbrecht und dem Angroscho in den Kreis zu folgen.
”Roban, solange wir nicht wissen, was dort vor sich geht...”, wollte Danja ihn zurückhalten, aber ihr Freund brachte sie mit einer unwilligen Geste zum Schweigen.
”Solange wir hier herum stehen und du keine klaren Ergebnisse hast, bekommen wir auch nicht raus, was dort ist oder nicht ist oder möglicherweise ist! Wir können die zwei nicht im Stich lassen!”
Man sah Danja an, dass sie anderer Meinung war, immerhin war Edelbrecht völlig unüberlegt in den Steinkreis gestürmt und Olgosch ihm wohl aus reinem Pflichtbewusstsein gefolgt. Dennoch nickte sie.
”Na schön. Aber sei vorsichtig! Zieh dich zurück, sobald etwas passiert, was dir unerklärlich oder auch nur suspekt erscheint. Hammer und Schwert helfen nicht gegen finstere Magie!”
”Danke für die Warnung!” seufzte Roban und ging los.
Da er noch immer Olgoschs und Edelbrechts Fackeln im Steinkreis ausmachen konnte, verzichtete er darauf, sich ebenfalls eine geben zu lassen – damit hätte er sein Kommen wie mit einer Fanfare angekündigt. Vorsichtig, als laufe er auf einer dünnen Eisdecke, näherte er sich dem Rand des Kreises.
Jetzt konnte er schon mehr erkennen. Sowohl Olgosch wie auch Edelbrecht schienen unverletzt und bei Bewusstsein zu sein, aber ihre Blicke irrten ins Leere, ihre Gesichter zeigten einen Schrecken, den Roban sich nicht erklären konnte. Dabei lief Edelbrecht unkoordiniert und taumelnd in einem engen Kreis um die eigene Achse. Roban rief ihre Namen, aber sie reagierten nicht, und er konnte nichts sehen, was das Entsetzen hätte verursachen können.
Langsam machte er einen weiteren Schritt, achtete darauf, wohin er den Fuß setzte. Es war nichts zu sehen, keine magischen Blitze, Flammen, hohnlachende Dämonen...
Er machte einen weiteren Schritt.
Schlagartig wurde es heller.
Nicht wirklich hell, aber doch heller.
Roban drehte sich herum.
”Sieht nicht gut aus, Grobi!” sagte jemand neben ihm. Die Stimme ließ seine Haare zu Berge stehen. Sein Kopf fuhr herum.
”Ich glaube nicht, dass dort noch jemand lebt”, meinte Ludalf mit einem Kopfnicken nach vorn. Robans Mund klappte auf, wieder zu, wieder auf. Dann erst folgte sein Blick der Geste. Sein Magen verkrampfte sich.
Das abgebrannte Gehöft kannte er.
Den kleinen Trupp, der mit ihm in der Dämmerung dorthin marschierte, kannte er ebenfalls. Nein, er hatte sie gekannt, denn sie waren alle tot! Auch Ludalf, der ihm jetzt, wie damals, einen Knuff in die Rippen gab.
”Was ist los, Grobi, träumst du von deiner heißen Magierin?” grinste der Landwehrmann unverhohlen.
”Wir dürfen nicht dorthin!” krächzte Roban. ”Wir müssen weg von hier!”
Die Gewissheit um das, was dort passieren würde – passiert WAR! – war noch schlimmer als die Ungewissheit.
”Befehl ist Befehl, Wohgeboren!” erwiderte Ludalf beiläufig.
Der Wehrhof bot einen schauerlichen Anblick. Verkohlte Dachsparren ragten wie anklagende Finger in den Abendhimmel. Vor den rußgeschwärzten Mauerresten lagen die Leichen der Bewohner, von einem feindlichen Stoßtrupp niedergemacht. Roban erinnerte sich noch an die Gesichter.
Diese waren falsch. Sie waren noch schlimmer als die echten!
Dort lag der fleißige Arbel Schnirkefeld, sein Kopf zwei Schritt weiter. Neben ihm Lana, von einem Speerstoß in den Rücken durchbohrt, der auch den vor der Brust getragenen Alderan aus dem Leben gerissen hatte.
Vor dem Haus lag die Familie Sackfold, alle sieben, dahinter Rondred Brotbäck mit seiner Familie.
Man hatte hier keine tobrischen Bauern dahingeschlachtet, sondern die Bewohner von Hohentrutz. Seine Siedler, die zu schützen er geschworen hatte.
Irgendwo zwischen den Toten fand er Danja. Ihr hübsches Gesicht war unversehrt, die leeren Augen starrten in den Himmel, der Brustkorb bestand nur noch aus verschmorten, teilweise geschmolzenen Knochen. Roban hatte das Gefühl, gleichzeitig heulen und kotzen zu müssen...
”Tragen wir sie zusammen und fackeln sie ab”, hörte er Ludalf sagen, mit dem Gleichmut eines Mannes, der so etwas schon viel zu oft gesehen hatte. Er wusste, dass sie keines von beiden mehr schaffen würden! Er hätte die Leute niemals so spät am Tag hierher führen dürfen! Er hätte es dem Rittmeister sagen müssen!
Aber er hatte nichts gesagt, und seine Leute würden hier sterben! Oder waren sie schon hier gestorben?
”Ich muss hier weg”, flüsterte er. ”Raus aus diesem...Steinkreis?”
Die Erkenntnis kroch durch seine Erinnerung wie zähflüssiges Wachs. Aber wo war der Steinkreis? Das hier waren die Misa-Auen, der Moorbrücker Sumpf lag hunderte von Meilen gen Efferd!
”Wieso weg? Bleib doch noch bei mir!”
Ein heiserer Schrei entfuhr ihm. Danja hatte den Kopf gehoben und lächelte ihn über ihren verschmorten Brustkorb hinweg an.
”Wir hatten nur so wenig Zeit füreinander! Warum bist du mir immer ausgewichen?”
Robans Verstand war unfähig, das Geschehen zu erfassen. Der Sonnenwagen war hinter den Horizont gesunken, Dunkelheit legte sich über das geschundene Land. Und jene, die tot sein sollten, regten sich wieder.
Sein Körper reagierte wie von selbst. Ein wuchtiger Tritt traf die Untote am Kopf, so heftig, dass ihr Genick brach.
”Roban, Roban!” seufzte sie ungerührt. ”Du solltest wirklich wissen, dass man eine Dame nicht tritt! Schon gar nicht, wenn sie schon am Boden liegt!”
Seine Schreie hatten kaum mehr etwas Menschliches, als sich Danja wieder aufrappelte, den haltlos pendelnden Kopf zu Recht rückte wie ein verrutschtes Kleidungsstück, und mit wiegenden Hüften auf ihn zukam.
Und sie war nicht die Einzige, die sich gegen alle göttlichen Gesetze bewegte.
Irgendwo hörte er die Schreie seiner Leute. Der gute Arbel Schnirkefeld schlug Ludalf hinterrücks den Schädel mit einem Stein ein. Überall stürzten sich die untoten Hohentrutzer auf seine Mannen und machten sie nieder, und aus dem nahen Sumpf erhoben sich weitere Leichname, kamen mit eckigen, abgehackten Bewegungen näher.
Wie in Trance zog Roban den Hammer, schlug nach Danja, die lachend zurückwich.
”Ach, Roban. Warum sträubst du dich immer noch?”
”Geh weg!” krächzte er. ”Verschwinde!”
”Verschwinden?” Sie lachte erneut, ein abscheulicher Laut voller Hohn. ”Deinetwegen bin ich doch hier! Deinetwegen sind wir alle hier! Deinetwegen sind wir alle gestorben, Roban Grobhand!”
Im Blick der gebrochenen Augen lag etwas Drohendes.
”Deinetwegen! Deinetwegen!” skandierten jetzt auch die anderen Untoten. Zu den Hohentrutzern hatten sich jetzt auch die Soldaten gesellt, mit zerquetschen Kehlköpfen, zertrümmerten Schädeln, aufgeschlitzten Leibern.
”Du hast uns in diese Falle geführt!”
”Du hast uns in den mörderischen Sumpf gebracht!”
”Du hast uns nicht beschützt, obwohl du es geschworen hast!”
Die Vorwürfe prasselten auf ihn ein wie Steinwürfe, während die Leichen auf ihn zukamen. Immer mehr kamen aus den niedergebrannten Häusern, aus dem Sumpf. Sie trieben ihn vor sich her wie eine Hundemeute das Wild.
Und er wich zurück. Gegen diese Horde hatte er keine Chance. Er wollte weg, nur weg. Aber wohin? Er konnte den Blick nicht von ihnen wenden, von all den vertrauten Gesichtern, die ihn jetzt anstarrten, voller Schmerz, voller Wut, voller Enttäuschung!
Irgendwann schmatzte der Boden unter seinen Füßen. Er hatte den Rand des Sumpfes erreicht. Ab jetzt hatte er nur noch die Wahl, im Morast zu ersaufen oder von den Untoten zerrissen zu werden. Das Schmatzen des Sumpfes klang triumphierend.
”Du wolltest mich besiegen oder bei dem Versuch sterben”, gurgelte es höhnisch unter ihm. ”Besiegen wirst du mich wohl nicht mehr! Bleibt nur noch das Sterben!”
Roban schloß die Augen.
Das konnte nicht echt sein! Das DURFTE nicht echt sein!
Irgendwo in seinem Unterbewusstsein mahnte eine Stimme, abzuhauen, wenn ihm etwas suspekt erschien.
Suspekt war im Moment leicht untertrieben! Die Sache stank wie ein Angbarsch, der seit vier Wochen in der prallen Sonne lag! Nur leider nützte ihm diese Erkenntnis im Moment nichts. Es gab nämlich leider nichts mehr, wohin er abhauen konnte!
”Du hast mich enttäuscht!” donnerte eine Stimme über die anderen hinweg. Ein Gerippe in zerschlissenem Waffenrock schob sich durch die Reihen. Sein Schädel war wuchtig, der Unterkiefer mit den vergrößerten Eckzähnen sprang etwas vor. Und hinter dem Skelett ragten nicht mehr die Ruinen des Hofes empor, sondern der Hügel von Hohentrutz, gekrönt von den rauchgeschwärzten Trümmern der Siedlung.
”Du hast die Herrin enttäuscht! Denkst du, sie ist erbaut über einen schmutzigen Ritter, der schon mit seinem Äußeren ihren Ruhm befleckt? Der sich nicht mal artikulieren kann, wie es einem Edelmann geziemt? Auf derlei Gesindel kann die Himmelsleuin gut und gern verzichten! Erst recht, wenn sie nicht mal jene schützen können, die ihnen anvertraut waren!”
”NEIN!”
Robans Blick verschleierte sich. Wie eine in die Enge getriebene Ratte griff er an, drosch völlig ungezielt um sich, schrie immer wieder ”NEIN! DAS IST NICHT WAHR!”, bis ihm schwarz vor Augen wurde.